Hamburger Abendblatt, October 24, 2003

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Ein rettungsloser Romantiker


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   Joachim Mischke

Elvis Costello im Schauspielhaus

Hamburg — So ändern sich die Zeiten: Pünktlich nach 90 Minuten kommt ein Roadie auf die Bühne. Aber nicht etwa mit bewusstseinserweiternden Substanzen jenseits der Legalität, sondern, ganz brav, mit einer Teekanne zum Nachschenken. Elvis Costello, der Schlaumeier-Rabauke und Punk-Rocker von einst, trägt einen braven Anzug in verhuschtem Dunkelbraun.

Mit dem Gelbetikett auf seinem neuen Album North hat er sogar die Image-Weihen der Hochkultur empfangen. Doch hinter der Streber-Hornbrille des 48-Jährigen steckt immer noch ein schlauer Kopf, in Costellos Brust schlägt ein sensibles Herz, das Gemüt jedoch ist gänzlich frei von der nörgelnden Ironie früherer Jahre. Der Mann ist ein klassischer Romantiker geworden. Rettungslos, und das richtig gern.

Im Dämmerlicht der Schauspielhaus-Bühne, die dem Ganzen eine weitere Schicht klassischer Patina verleiht, reiht Costello eine Song-Perle an die nächste. Wäre der Begriff "Liederabend" nicht von den E-Musik-Kollegen mit Beschlag belegt, hier, bei Costello und seinem langjährigen Buddy Steve Nieve am Flügel, würde er passen. Die aktuellen Songs sind so zeitlos gut und so komplex, klingen so sehr nach Quellenstudium bei Bacharach und Schubert, Gershwin, dem Broadway und Van Morrison, dass sie glatt Opus-Zahlen tragen könnten, ohne dabei kunstgewerblich oder hochnäsig zu wirken.

Vielleicht hätte Costello eines jener alten Röhrenmikrofone verwenden sollen, als Hommage an Crooner-Legenden wie Sinatra, Tony Bennett oder die späte Billie Holiday. Doch auch mit dem modernen Mikro geht Costello souverän um: Er ignoriert es oft einfach. Lässt es links stehen, klammert sich an den Flügel, singt sich die rührende Ratlosigkeit seiner Vier-Minuten-Dramen unverstärkt aus dem Leib. Am Ende einer seiner vielen Zugaben, nach mehr als zwei Stunden, verharrt er in Denkerpose im Dunkel — versteh einer die Welt, versteh einer die Frauen, heißt das wohl. Bei den meisten anderen wäre so etwas eher peinlich. Bei Costello hat es Ernst und Charme. Und so gesehen ist das mit dem Tee letztlich auch ganz cool.

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Hamburger Abendblatt, October 24, 2003


Joachim Mischke reviews Elvis Costello & Steve Nieve, Wednesday, October 22, 2003, Schauspielhaus, Hamburg, Germany.


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