Kronen Zeitung, November 5, 2020

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Interview & Album

Elvis Costello: „Wir sind lange nicht verloren“


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  Robert Fröwein

Zwei Jahre nach seinem Grammy-veredelten Album „Look Now“ hat sich Kultmusiker Elvis Costello wieder die Freiheit gegönnt, zwischen allen Genres zu springen. „Hey Clockface“ ist gleichermaßen eklektisch und spannend wie ursprünglich und gediegen. Angesichts der Corona-Krise verfällt der 66-Jährige aber nicht in den „Virus-Blues“, sondern steckt voller Hoffnung und Optimismus.

Der Terminus Eklektizismus wurde für Menschen wie Elvis Costello erfunden. Der 66-jährige, eigentlich als Declan Patrick MacManus in die Welt gekommene Brite, hat in seinen fast fünf Karrieredekaden so gut wie kein Feld unbeackert gelassen und es stets tunlichst vermieden, sich allzu leicht in ein Genre einordnen lassen zu können. Zwischen Jazz, Country, Funk, Hip-Hop, Avantgarde Pop, Pub-Rock, New Wave und Soul war immer Platz für den Wahlkanadier, der nicht nur enge Freundschaften mit Größen wie Burt Bacharach und Paul McCartney pflegt, sondern mit Diana Krall auch eine Ehefrau hat, deren Lebensmittelpunkt die Musik darstellt. Auch wenn Costellos größte Glanzzeit in die 80er-Jahre zurückreicht, ist er eine nicht wegzudenkende Konstante am internationalen Musikhimmel. Das bewies nicht zuletzt das 2018 veröffentlichte, ungewohnt geordnete Album „Look Now“, das schlussendlich sogar mit einem Pop-Grammy ausgezeichnet wurde. Elvis Costello wäre aber natürlich nicht Elvis Costello, hätte er sich an die Erfolgsformel gehalten.

Drei Erfolgspfeiler
So musste eine komplette Trendumkehr her und das Ergebnis nennt sich „Hey Clockface“. Ein weiteres Stück persönlicher Anarchie, wie Costello sie sich im Laufe der Jahre öfter und selbstsicherer leistet. „,Look Now‘ habe ich mit meiner Band, den Imposters eingespielt“, erinnert sich Costello im Videointerview mit der „Krone“, „wir waren sehr diszipliniert, zugänglich und poppig. ,Hey Clockface‘ ist ein wesentlich spontaneres Album, das als solches gar nicht geplant war.“ Tatsächlich unterteilt sich das Werk in drei Kapitel. Zum enen gibt es die punkigen Helsinki-Songs, die Costello einsam und ohne einen dort beheimateten Musiker zu kennen im hohen Norden einspielte und sich damit „ein Gefühl wie 1977“ verschaffte. Dann gibt es die eleganten, wesentlich jazzigeren Paris-Songs, an denen er kurz vor Corona mit dem Le Quintette Saint Germain arbeitete und schlussendlich noch zwei Tracks, die während der Pandemie in einer Art Fernbeziehung mit Michael Leonhart und Bill Frisell in New York entstanden. Erst diese zwei Nummern, „Newspaper Pane“ und „Radio Is Everything“, vervollständigten für Costello das Puzzle Studioalbum.

„In Helsinki habe ich einfach Rock’n’Roll gemacht, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Die Gitarre dominierte, Drums dazu, fertig. Wie in den alten Tagen. Paris war elegant, dort haben wir akribisch an den Songs gearbeitet. Als Corona kam, bin ich so schnell wie möglich heim zu meiner Familie nach Vancouver. Michael Leonhart schickt mir die zwei New-York-Songs und fragte mich, ob ich ein Teil seines Albums sein wolle. Mir gefielen sie aber so gut, dass ich die Songs selber haben wollte, also teilten wir sie schlussendlich“, lacht das wandelnde Musiklexikon, „plötzlich ergab alles einen Sinn und das Album stand. Dass sich all das auch noch unter diesen schwierigen Bestimmungen entwickeln konnte, hatte fast schon etwas Magisches.“ Einen eigentlich fragilen Song wie „The Whirlwind“ so rau und ursprünglich wie in Helsinki aufzunehmen, bezeichnet Costello launig als „mit einem Tablett voller Gläser durch den Boxring tänzeln“. Die musikalische Nostalgie zu seinen eigenen Frühwerken ist auf „Hey Clockface“ jederzeit zu hören. Was dem Album trotz aller Leidenschaft am Ende doch fehlt, ist eine stringente Linie.

Niemals die Hoffnung aufgeben
Sanfte Streicher und betörende Trompeten finden genauso Platz wie eruptive Klangausbrüche und geradlinige Rocker. Costello muss längst niemandem mehr etwas beweisen und kann sich nach 45 Karrierejahren locker auf seine allumfassende Leidenschaft berufen. Auch wenn der Musiker schon mal deutlich politischer positioniert war, zeigt ein Song wie „We Are All Cowards Now“, dass er mit der Weltlage alles andere als im Reinen ist. „Ich habe bewusst das ,we‘ eingebaut, weil ich mich nicht ausnehmen will“, erklärt er, „ich singe seit mehr als 40 Jahren über Liebe, Friede und Zusammenhalt. Wir sind derzeit in einer Lage, wo es verdammt schwer ist, sich diesen Optimismus zu bewahren, aber wenn ich meine Söhne ansehe, dann kann ich die Hoffnung nicht einfach aufgeben. Ein Song soll dir immer das Gefühl geben, dass du dich wehren kannst. Dass du etwas aktiv bewirken kannst. Als Künstler und Musiker habe ich die Möglichkeit, dir für drei, vier Minuten ein Leben zu geben, dass du nicht kennst. Damit verschwinden zwar nicht die Probleme der Welt, aber du kannst dich inspirieren lassen und von dort heraus selbst etwas Gutes tun. Du steigst für ein paar Minuten in jemand Anderes Schuhe und bist bereit für eine Veränderung.“

Costello nimmt nicht zuletzt als verantwortungsvoller Familienvater die Dinge lieber selbst in die Hand. „Ich halte es für falsch, nur defensiv zu sein und dauernd abzuwarten. Jeder kann in dieser schlimmen Lage etwas tun, um sich aus der gefühlten Ohnmacht, die das Corona-Virus mit sich bringt, zu entfesseln. Ich bin nicht so selbstverliebt, dass ich nur über die Isolation singe, aber mir ist es trotz allem wichtig zu vermitteln, dass wir positiv bleiben und Liebe ausstrahlen sollen.“ Dass die derzeitige Corona-Lage die Welt in den Abgrund stürzen könnte, glaubt Costello nicht: „Wir standen so oft davor und haben uns noch immer rausgezogen. Die wahre Tragik ist die Respektlosigkeit. Alle bilden verschiedene Meinungslager und lassen andere Ansichten nicht mehr zu. Ich kann mich nicht mit meinem 13-jährigen Sohn unterhalten und ihm sagen, es gäbe keine Zukunft. ,No Future‘ wurde Ende der 70er-Jahre schon in Punk-Songs prophezeit, aber wir alle wissen, das war mehr Gepose als ein richtiges Statement. Wir gehen derzeit viel zu viele Schritte rückwärts, aber das heißt nicht, dass wir verloren sind.“

Noch viele Pläne
Fernab seiner britischen Heimat nimmt Costello die Lage mehr als ernst. „Meine Mutter ist 93 und lebt ländlich im Nordwesten Englands, wo das Virus sehr stark ist. Mir ist es weder möglich, noch erlaubt sie zu besuchen und das tut mir weh. Es wäre auch verantwortungslos und egoistisch. Ich habe im Laufe des Jahres zu viele Freunde an dieses Virus verloren und es tut mir verdammt weh die immer lauter werdenden Stimmen zu hören, die meinen, das Virus wäre menschengemacht oder konzerngesteuert. Ich gebe niemandem die Schuld, aber man muss der Wahrheit ins Auge blicken können.“ Das Album selbst ist wesentlich entspannter und weniger ernsthaft, als die Welt drumherum. Der Titel „Hey Clockface“ ist von einem Song aus den 30er-Jahren inspiriert, der davon handelt, dass die Zeit nicht vergeht, wenn man auf seine Angebetete wartet, aber viel zu schnell, wenn man die Zweisamkeit genießt. „Es geht jedenfalls nicht um Sterblichkeit, dafür geht es mir zu gut. Ich habe noch viele Pläne und will auch so schnell wie möglich wieder in Österreich auftreten. Aus irgendeinem Grund, sind meine Albumverkäufe bei euch nicht so gut, aber die Gigs immer fantastisch. Bald können wir wieder gemeinsam feiern, bleiben wir optimistisch!“


Tags: Look NowHey ClockfaceDeclan Patrick Aloysius MacManusBurt BacharachPaul McCartneyDiana KrallThe ImpostersHelsinkiParisLe Quintette Saint GermainMichael LeonhartBill FrisellNewspaper PaneRadio Is EverythingThe WhirlwindWe Are All Cowards Now

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Kronen Zeitung, November 5, 2020


Robert Fröwein interviews Elvis and reviews Hey Clockface.

Images

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Photo credit: Ray Di Pietro

Hey Clockface album cover.jpg

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