Melodie Und Rhythmus, November 1989

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Melodie Und Rhythmus

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Elvis Costello

oder Von der unerheblichen Wichtigkeit des Scheins

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   Marion Brasch

Normalerweise heißt er ganz anders (Declan Patrick MacManus). Normalerweise ist er ganz anders (ein netter Junge). Normalerweise ist er überhaupt ganz anders, als er normalerweise zu sein scheint. Ergo: Der Schein trügt mal wieder ungemein. Doch kippen wir nicht das Kind mit dem Bade aus, schön der Reihe nach...

Elvis Costello ist ein schwieriger Fall, MacManus nicht minder. Elvis Costello ist ja mehr so eine Art Markenzeichen, das sagt er selbst: „Ungefähr so wie, ,Durex' (die Marke für ein britisches Kondom — Anm. d. A.)... Elvis Costello hat die Aufmerksamkeit der Leute auf mich gelenkt. Declan MacManus geht nicht so gut von der Zunge, ganz einfach. Es hätte genausogut Jesus Costello sein können, egal was, nur sollte es sich von all den Joey's und Jimmy's jener Tage unterscheiden."

Nun, so ganz von ungefähr kam „Elvis" bestimmt nicht — Elvis II. wurde nämlich gerade geboren, als Elvis I. seine ersten Singles aufnahm (1954). Und sicher nicht umsonst ziert das Cover des ersten Costello-Albums My Aim Is True (1977) in grotesker Doppelsinnigkeit hundertfach der ins Schachbrettmuster eingesetzte Spruch „Elvis Is King". Der Zufall wollte es, daß Presley wenige Wochen nach Erscheinen dieser Platte starb. Um nicht geschmacklos zu wirken, nannte Costello sein zweites Album nicht, wie geplant Girls, Girls, Girls, sondern This Years Model (1978). Ersteres wäre in den Augen der trauernden Fans und angesichts ungezählter (vor allem weiblicher) Suizide ein unverzeihlicher Lapsus gewesen.

„Elvis Is King" — die einen werteten diese Anspielung als „ungeheure Frechheit", die anderen sahen darin eine Art Hommage an den Meister, wieder andere unterstellten Costello einen Hang zum Größenwahn. Egal, Fakt ist, daß Costello genau das erreichte, was er bezweckte: Trotz aller Spekulationen, trotz Unbehagen diverser Teddy-Boys und Elvis-Anbeter erreichte My Aim Is True einen sehr beachtlichen 14. Platz in den britischen Charts.

Doch was war eigentlich, ehe aus jenem Declan MacManus der „andere Elvis", der „Buddy Holly nach dem Genuß einer Dose Motoröl" (Rolling Stone), der „Exzentriker mit dem Buchhaltergesicht" (Trouser Press), das „mürrische Punk - Genie" (Time) wurde? Costello selbst ist da ziemlich kurz angebunden: „Ich möchte nicht über meine Vergangenheit sprechen. Sie ist vorbei. Ich bin nicht plötzlich aus einer Wolke von Rauch gekommen, sondern bin schon lange dabei. Wenn die Leute sich damals nicht dafür interessiert haben, warum wollen sie dann jetzt alles darüber wissen?" Akzeptiert, aber es gibt ja auch noch andere Quellen, die schon mal das ein oder andere Detail gucken lassen. So weiß man inzwischen, daß Little Declan mit elf Mitglied eines Beatles-Fanclubs in Liverpool war, hin und wieder schon mal einen Song schrieb, ganz passabel Gitarre spielen konnte und mit diesem Vermögen, nebst seiner Arbeit als Computer-Programmierer, mit der Folkrock-Band Flip City lokale Clubs unsicher machte. 1974 war es, als er im legendären Liverpooler „Cavern"-Club zum erstenmal die Britpop-Kultband Brinsley Schwarz hörte und als Fan selbiger durch die englische Provinz zog. Der Bassist von Brinsley Schwarz war Nick Lowe (verrufen als „größter Pop-Klauer aller Zeiten"). Der hatte anfangs für Costello nicht viel übrig: „Elvis war ein äußerst hartnäckiger Fan, fast lästig in seiner übertriebenen Hilfsbereitschaft..." 1976 traf Costello abermals auf Nick Lowe, der gerade mit Jake Riviera das kleine Label Stiff gegründet hatte. Costello tingelte damals gerade vergeblich mit seinen Demo-Bändern von einer Plattenfirma zur anderen. In einem Interview erinnert er sich: „Ich war frustiert, weil mir irgendsoeine gottverdammte Plattenfirma in England mein Demo zurückgeschickt hat. Da nahm ich meine Gitarre, ging hin und zwang sie, mir zu-zuhören. Mitten in meinem Song fingen diese Leute an zu telefonieren — sie hatten nicht mal die Geduld, wenigstens einen Song bis zum Schluß anzuhören." Auf die Frage, ob er diese Leute mal wiedergetroffen habe, sagt Costello: „Klar. Virgin bot mir 1979 einen Vertrag an. Ich sagte, sie sollten mir zwei Songs von meinem letzten Album nennen. Sie konnten es nicht. Da habe ich zu ihnen gesagt, sie könnten mich am Arsch lecken." Doch bevor er so „böse" wurde, sollte noch einiges passieren.

Besagter Nick Lowe stellte ihn seinem Stiff-Label vor, und man zeigte sich begeistert. Daraufhin schnappte sich Costello Pete Thomas (dr), Bruce Thomas (b) und Steve Nieve (keyb) und gründete seine Band — die Attractions. Kurz darauf erschien schon erwähntes Album My Aim Is True. Kaum war die Platte da, klaffte die Schublade meterweit: Punk! Daß er mit diesem Label beklebt wurde, hatte einzig und allein den Grund, daß Costello mal eben gerade auf der Bildfläche erschien, als der Punk seine Hochzeit hatte. Costellos Kommentar dazu (er erinnert sich an seinen Auftritt als Special Guest im Konzert Saturday Night Live der Sex Pistols in den USA): „Als die Sex Pistols dieses Konzert machten, waren sie schon längst aus dem Rennen. Ich wollte damals meine Musik mit denselben Gesten, denselben Punk-Attacken rüberbringen, habe dabei aber nie mein Verständnis von Musik aufgegeben... Außerdem waren wir viel besser, viel aggressiver als diese Punk-bands. Die meisten konnten ja nicht mal Rhythmus halten, die haben einen Mist zusammengespielt — völlig nichtssagend. Die Attractions dagegen waren musikalisch. Trotzdem waren wir die wahren Punks, denn wir haben unsere erste Platte noch für ein paar Tausend Dollar produziert, während z. B. die Pistols schon in wahnsinnig teuren Studios aufnahmen."

In der Tat, mit Punk hatte My Aim Is True wirklich nichts zu tun. Vergleiche mal jemand Swing mit Punk — geht gar nicht (aber eine Swing-Nummer ist drauf!). Costello bediente sich auf dieser Platte mit lockerer Hand aller möglichen Stilistiken, vermengte respektlos und sympathisch den Pop der 60er mit der Süßlichkeit der Countrymusik, ein bißchen Rhythm & Blues, ein bißchen Rock 'n' Roll, und daß das Ganze die zeitgemäße Bitterkeit bekäme, tröpfelte er mit spitzer Zunge noch ein paar Wermutstropfen in Form ausgesprochen boshafter Texte rein. „Sehr merkwürdig, aber hochinteressant", resümierte die Presse. Aber weiter: Anfang '78 gründete Costellos Manager Riviera das Label Radar, dem Costello auch gleich den Hit „(I Don't Want To Go To) Chelsea" bescherte.

Die Songs auf seiner nächsten LP, This Years Model, zeigten dann einen total überdrehten Elvis, der die Glitzerwelt des Showbizz auf die Schippe nahm: Platz vier in den Charts, lockere 13 Wochen in den Top 50! Das letzte der 70er Jahre brachte ihm endgültig den Status eines Superstars, nachdem sich seine dritte LP, Armed Forces, allein in den USA 650 000 Stück verkaufte. Das vierte Costello-Album, Get Happy!! (1980), katapultierte sich auf Anhieb auf Platz zwei der englischen Charts. Mit Trust (1981) schürte er das Vertrauen seiner Fans. Dann die Wandlung: Costello ging mit den Attractions nach Nashville, um eine Country-Platte zu machen. Das Album Almost Blue (1981) mit seiner Interpretation bekannter Country-&-Western-Songs ließ zwar Costello-Anhänger zusammenzucken, doch sie hielten ihm die Stange. Von der Presse wurde das Werk ziemlich einhellig verrissen. 1982 erschien Imperial Bedroom — ein Album, das nach wie vor als ein Meisterwerk feinsinniger Kompositionskunst gehandelt wird. Es folgten Punch The Clock (1983) und Goodbye Cruel World (1984) mit seinem letzten Single-halbwegs-Hit „I Wanna Be Loved" und dem Stück „Comediens", das übrigens auch auf der letzten Roy-Orbison-Platte drauf ist.

1985 produzierte Costello keine Platte, sondern die Pogues und ihr Album Rum, Sodomy & The Lash. Das muß wohl auch die Zeit gewesen sein, in der sich sein künftiges Liebesglück mit Cait O'Riordan (ehem. Bassistin der Pogues) begründete. 1986 machte er im Abstand von sechs Monaten gleich zwei Alben: King Of America und Blood & Chocolate — zwei extrem unterschiedliche Platten. Die erste ging schon in Richtung Altersweisheit, die zweite nochmal in die andere Richtung, roh und wild, stellenweise nur noch pure Selbstqual („I Want You") — eine Lärm-Hit-Platte. Dann suchte die wunde Seele und der gehetzte Geist Abwechslung. Er legte die Attractions ad acta, ging auf Tour, machte Filmmusik, schrieb für andere... und für sich.

Und jetzt ist er wieder da — „The Beloved Entertainer" anno 1989. Spike heißt der letzte Anschlag des komischen Kauzes mit dem sarkastischen Grinsen. Wie ist denn das nun mit dem Schein? Jetzt zeigt er beides: Schein und Sein.

Januskopf Elvis. Clown und ulkiger Priester. Er schmeichelt sich ein mit weicher Harmonie und hat er dich, schmettert er dir die Nägel ins Hirn, pinnt dich an die Wand und hält dir den Spiegel vor's Gesicht. Lieb ist er und böse, dieser Declan-Elvis. Dem ist nichts heilig, nicht mal der Liebe Gott. Der lümmelt sich in „God's Comic" auf einem Wasserbett, schlabbert Import-Cola, liest einen Roman aus dem Duty Free und beschwert sich, daß er ständig mit dem Weihnachtsmann verwechselt wird. Costello: „Der Liebe Gott, das bin ich. Ich vertiefe mich wie ein Schriftsteller in meine Figuren, bis ich weiß, wie ihre Unterwäsche aussieht." Und dabei macht er auch vor der Eisernen Lady nicht halt und schüttet seinen schwarzen Humor gleich kübelweise in die Songs. Seine Kunst ist es, daß er trotz allem Sarkasmus mittels seiner Musik der Welt immer noch eine Gnadenfrist setzt.

Ausgetüftelt hat er diese Heiß-kalt-lach-mal-wein-mal-Platte mit Hilfe illustrer Musiker und Costello-Sympathisanten, auf der Gästeliste u. a.: sein alter Kumpel T Bone Burnett, Chrissie Hynde... und (Potzblitz!) Paul McCartney. Costello 1989 wider den Schein: Er ist auch wieder Declan MacManus und sagt: „Ich bin nicht Mr. Hate, ich bin Mr. Love. Ich befinde mich mit niemandem im Wettstreit. Die Besten haben jeder eine Klasse für sich, da bin ich das beste Beispiel..." Akzeptiert


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Melodie Und Rhythmus, November 1989


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