Spex, March 1989

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Elvis Costello


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   Hans Nieswandt

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He's-back-back-back. Yahoo. Costello, die graueste aller Eminenzen, kehrt zurück, das Blut eiskalt hingemetzelten Publikumsinteresses noch unter den Fingernägeln. Er schwängerte die einst hippste und launischste Frau Londons, komponierte stillvergnügt mit Ruben Blades und Paul McCartney und trat schamlos mit vielen weltberühmten Stars auf. Er ist wieder da. Der gnadenloseste McManus, der je auf Erden wandelte.

Ich mache Songs über mich und mein Leben, und wenn das für irgendjemand anderen relevant ist: fein. Bist du hungrig?« (John Lennon zu einem Fan,der nächtelang im Park vor Lennon's ehemaligem Landsitz Tittenhurst gehaust hat, im Film Imagine)

Zentrale Gesprächsthemen der letzten Zeitwaren, jedenfalls in meinen Kreisen: 1.) Imagine, der neue, von Yoko Ono in Auftrag gegebene Dokumentarfilm über John Lennon, John und Yoko, John Lennon und die Beatles; 2.) Talk Radio, der neue Oliver-Stone-Film zum Thema Selbsthaß, Systemhaß, Haß allgemein, Galle spucken, einer rassischen Gruppe mit Sonderstatus (Juden) angehören (was man mit dem Namen McManus wohl kaum tut), und gehaßt werden, neben anderen Dingen. Dazu gab es neulich hier bei uns eine Radio-Veranstaltung, bei der lustigerweise ein paar der typisch unglamourösen, völlig ungefährlichen deutschen Radiosprecher versuchten, diese US-Erfindung des Beschimpfungsradios nachzustellen, also „Hassen" spielten; 3.) Würdevolles Altwerden unter dem Aspekt, daß alle Popmusiker irgendwann Idioten werden — Ausnahmen, die uns spontan einfielen: Van Morrison, Donald Fagen und ein paar andere; außerdem gilt dies nicht für bestimmte Soulaktivisten und Countrysänger (Wortführer bei diesem Thema: Detlef Diederichsen); 4.) Wie der Schulhof sich doch immer wieder als exaktes Abbild der Gesellschaft erweist, in die er uns entlassen hat. Alles, was man erlebt, hat man in kleinem Maßstab in der Schule schonmal erlebt. Das konkrete, allgemein bekannte Beispiel: Immer wenn man als Klasse geschlossen gegen Ungerechtigkeit von oben/außen vorgehen will, nichtmehr mitspielen mag, man sich ja nicht alles gefallen lassen kann, steht einer — vorzugsweise man selbst — am Ende alleine da. Jeder andere hat Wege gefunden, sich mit allem zu arrangieren und das vor allem auch auf die eine oder andere Weise sich selbst und dem Verlierer gegenüber befriedigend zu rechtfertigen. Folgen davon äußern sich zum Beispiel unter 2. (und im Lebenswerk von McManus).

An all das dachte ich in der Woche, an deren Ende die neue Elvis-Costello-Platte stand und das Elvis-Costello-Interview. Und auf wunderbare Weise ließ sich plötzlich jedes lose Ende irgendwo festmachen. Nicht, daß Costello da ein Stück über die Fortsetzung von Schulhofpolitik mit anderen Mitteln geschrieben hätte. Aber alle Themen, John Lennon an sich, John und Yoko, Haß an sich, Älterwerden an sich, selbst der Dumme sein an sich, zu all dem gibt es die Elvis-Costello-Connection. Diese aufzuzeigen soll mir Freude und Pflicht sein.

Was das In-Würde-Altern angeht, kann sich wohl jeder denken, was gemeint ist: den Bogen hat er 'raus, wo er doch mit seinen 34 Jahren schon die Respektabilität des Dichters, den man immer fragen kann, hat und sowieso noch nie besonders jung aussah (nur comic-mäßiger). Was ihn von John Lennon unterscheidet. Sonst lassen sich ziemlich viele Parallelen ziehen zwischen Lennon und Costello, nicht nur im Privatbereich (was für eine wilde Party das Leben doch war, wie man doch jeden Scheiß mitgemacht hat, bevor man seine Frau fand), nicht nur in der Vielseitigkeit (von beiden gibt es alle Sorten Platten), natürlich auch nicht nur, weil er mit Paul McCartney 'rummachte, sondern speziell den Rang als offizieller Berichterstatter aus der Perspektive der Arbeiterklasse (mit viel Mißtrauen ihr gegenüber), für den Costello jetzt alt und verdient genug ist, und für den Lennon nur befristet zur Verfügung stand. Oder so: Die ganze Zeit denkt man, was für ein sehr netter Film Imagine doch ist, wie schön zu sehen, wie John und Yoko immer gleichzeitig im Bild sind, immer im selben Raum. Dann sitze ich in der teuren Costello-Suite mit dem schönsten Alsterblick Hamburgs und warte auf "The Beloved Entertainer", und auch er betritt den Raum zusammen mit seiner schwangeren Frau Cait O'Riordan, die während des ganzen Interviews im Hintergrund am Schreibtisch sitzt, ohne irgendetwas zur Unterhaltung beizutragen, sondern nur da ist. Dabei fiel mir auf, wie schwer man sich heute noch vorstellen kann, daß auch Elvis Costello mal mit der Jet-Set-Mieze und wohl immer noch Mick-Jagger-Freundin Jerry Hall zusammen war. Am Schluß drückt sich Cait mein mitgebrachtes SPEX ans Herz (das hätte Jerry Hall bestimmt nicht gemacht.)

Das wiederum. bringt mich darauf, wie unglaublich lang es Elvis Costello schon gibt. Sein Auftauchen in der Popwelt markierte ziemlich genau auch meine Initiation ins richtige Popfandasein. My Aim Is True hatte ich als Pop mit Melody Maker- Leser nur am Rande mitbekommen, bei Armed Forces las ich bereits Sounds. Sie war die erste Costello-Platte, die ich als solche hörte, 1979 in Friedrichshafen am Bodensee.

Damals galt er als so etwas wie der kleine Bruder von Buddy Holly auf den Spuren von Bob Dylan. Er wurde als Komponist des klassischen Pop-Songs mit den guten Texten gefeiert, das akzeptable Gesicht von Punk. "Ich hatte nicht das Geld, um ins Roxy zu gehen und The Clash und The Sex Pistols zu sehen. Ich las über sie im Melody Maker und NME, so wie jeder andere. Ich mußte um sieben Uhr morgens aufstehen. Ich war verheiratet mit einem Sohn (was aus dem wohl geworden ist?), ich konnte mir nicht einfach einen Tag frei nehmen, weil ich am abend vorher aus war. Ich spielte oft genug krank, damit ich nicht zur Arbeit mußte, damit ich an My Aim Is True arbeiten konnte", wie er dem „Rolling Stone" damals in bemerkenswerter Offenheit erzählte. Details aus dieser Zeit, die mir dabei einfallen, sind natürlich seine legendäre Schlägerei mit Bonnie Bramlett, Stephen Stills und deren Roadies in einer Bar in Ohio, nachdem er sich abfällig über Ray Charles ("Ein blinder, alter Nigger"), Stills selbst ("old steelnose") und Amerika ("a fucked country") persönlich geäußert hatte; außerdem, daß er ausgerechnet (u.a.) Computerprogrammierer war, bevor er Plattenkünstler wurde, ein in den mittleren 70er Jahren ja noch nicht besonders gängiger Beruf. Als Antrieb für seine Taten gab er "Rache und Schuld" zu Protokoll. Sein Image war ihm angeboren: das zerquälte Bündel Haß. Sein Vater, ein Gelegenheitsmusiker, hatte den kleinen Declan schon in jungen Jahren oft alleine gelassen und ihn trotzdem/ dadurch zu einer späteren Musiker-karriere animiert. Er galt als Rassist, bevor du als solcher galtest, diesen Ruf, den er sich trotz diverser antifaschistischer Songs erworben hatte, dämpfte er mit dem Partysoul-Album Get Happy und der Produktion der Specials.

Mit Beginn der 80er Jahre wurde Costello dann wesentlich milder. Das gipfelte in Almost Blue, einem reinen Country-Coverversionen-Album. 1982 erscheint Imperial Bedroom, ein Album, das nach wie vor zurecht als ein Meisterwerk feinsinniger Kompositionskunst gehandelt wird, mit dem den Himmel rührenden Credo „Man Out Of Time", 1983 Punch The Clock mit den Dexys-Bläsern, Chet Baker, „Everyday I Write the Book" und Robert Wyatts „Shipbuilding", 1984 Goodbye Cruel World mit seinem letzten Single-Halbwegs-Hit „I Wanna Be Loved" (mit Green Gartside als Backgroundsänger) und dem Stück "The Comedians", das jetzt auf der Roy-Orbison-Platte drauf ist ("Erstaunlich, wenn man sieht, wie gut der Song klingen kann, wenn man sich auf sein Wesentliches beschränkt"). 1986 erschienen dann im Abstand von sechs Monaten King Of America von The Costello Show und Blood & Chocolate mit den Attractions, zwei extrem unterschiedliche Platten; King Of America ging schon in Richtung Altersweisheit, „Blood And Chocolate" nochmal in die entgegengesetzte Richtung, „King Of America" war alles von folkig bis texmexig, mit Leuten von der alten Presley-Band unter Kult- und Fanaspekten eingespielt und außerdem fast schon eine Konzeptplatte (Ich sehe Amerika an, Amerika sieht zurück), „Blood And Chocolate" ein ziemlich rohes, klaustrophobisches Röcheln in Form einer Lärm-Hit-Platte, stellenweise nur noch pure Selbstqual („I Want You"). Im selben Jahr gab es den wilden Roskilde-Auf-tritt. "Das war sehr gut, und es war das letzte Mal, daß wir in dieser Art aufgetreten sind. Es war nur wegen Lloyd Cole. Wir wollten ihm Angst einjagen. Diese Sorte Bands sind so selbstgefällig und so sensitiv." Aber es gab auch Live Aid, wo er solo und akustisch „All You Need Is Love" spielte. Da war er schon der würdevolle, wenn auch elder, so doch schrullige statesman, der er auch durch sturzbetrunkene Butlerrollen in Alex-Cox-Filmen bis heute geblieben ist und als der er dem NME erklärt hatte: "Ich habe jetzt keine Position mehr im Pop. Ich befinde mich mitniemandem mehr im Wettbewerb. Die Besten haben jeder eine Klasse für sich, da bin ich das beste Beispiel ..."

Womit wir beim Elvis Costello a.k.a. Spike a.k.a. Stalin Malone (weitere berühmte Pseudonyme: Napoleon Dynamite, Henry & Howard Coward, The Imposter, u.v.m.) von heute und seiner neuen Platte wären, die der langen Zeit und der langen Liste von beteiligten Berühmt-heiten entsprechend gewichtig, um nicht zu sagen: GROSS, geworden ist. Bevor nun also Elvis Costello selbst einige seiner Stücke kommentieren wird, erzählt er hier das Ende der Geschichte, während Cait im Hintergrund am Schreibtisch sitzt und er sich seiner um diese Tageszeit (halb zwölf Uhr morgens) üblichen Getränkemischung widmet: Pfefferminztee, Kaffee, Orangensaft und Wasser, sauber vor sich aufgereiht, durcheinander zu trinken. Er ist wesentlich größer (über einsachtzig) als ich ihn mir immer vorgestellt hatte, trägt ein schwarzes Hemd mit weißen Punkten und zunächst eine von diesen in diesem Sommer modern werdenden Aufsteck-Sonnengläsern, später die bekannte Hornbrille.

Was geschah in den letzten drei Jahren?

"Erstens habe ich ein Paar Touren gemacht, von denen du vielleicht nichts gehört haben wirst Mit den Confederates tourte ich durch die Südstaaten von Amerika (eine typisch hintersinnige Costello-Idee), durch Australien und Japan. Ich machte eine Solotour durch verschiedene lvy-League-Colleges, ich ging nach Harvard, dort haben sie mir eine Auszeichnung verliehen, einen roten Tennisschuh..."

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Wofür?

»Sie haben da eine studentische Körperschaft, die einen Preis für künstlerische Exzellenz eingeführt hat Sie hielten mich für so exzellent, daß sie mir einen alten Tennisschuh gaben. Wir gingen nach Grönland in Urlaub, das war sehr interessant« 

Dann gab es natürlich das große Kapitel „Straight To Hell", Mann, das muß ja ein schöner Spaß gewesen sein, was!

»Neeiiin ... nicht wirklich. Es war lustig, bis wir feststellten, daß wir da unten in der Falle saßen. Es wäre lustiger gewesen, wenn es z.B. ein Script gegeben hätte. Es war ein Abenteuer, du machtest verrückte Sachen. Ich sollte gar nicht mitspielen, ich bin bloß runter gefahren, weil ich einen Monat frei hatte und Cait sehen wollte. So wie ich endete jeder, der zufallig an den Drehort kam, im Film. Irgendwelche Tramper wurden plötzlich überfallen, man sollte sie sich kaufen, das war diese Hitze.«

Und es gab diesen anderen, leider nicht so umhauenden Film, in dem Cait mitspielte.

»Ja Der Kurier. Wirlebten deswegen in Dublin für drei Monate, und ich schrieb eine Menge Songs für diese neue Platte, aber auch für den Soundtrack, was eineziemlich interessante Sache war. Ich hatte sowas vorher noch nie gemacht. Sie hatten nur ein sehr kleines Budget, weshalb die Musik nicht auf dem üblichen, komplexen Weg entstand, bei dem man den Film mit ins Studio nimmt und ein Orchester dazu spielen läßt. Deshalb schrieb ich nur kleine Schnipsel, die sie dann irgendwie dazumontierten. Müßte zumindest als Import erhältlich sein. Filmmusik ist ja nicht etwas, was man sich zu Hause aus Unterhaltungsgründen auflegt. Ich habe ein paar Platten mit Filmmusik, die ich gern höre, von Bernard Herrmann, dem Hitchcock-Komponisten, Ennio Morricone, Nino Rota.«

Und dann hat Elvis Costello natürlich viel geschrieben, die ganzen Stücke von Spike, und noch viel mehr, geschrieben und geschrieben. »Ich schrieb ein paar Songs mit Ruben Blades für sein letztes Album. Auch wenn du dich nicht für ihn interessierst, aber wenigstens ein bißchen für Salsa, wird es dir leicht zugänglich sein, weil es auf Englisch ist. Dann habe ich einen Song für eine Tuesday-Platte geschrieben, und dann rief mich auch schon Paul McCartney an und wollte mit mir zusammen schreiben. Außerdem habe ich 'The Comedians' für Roy Orbison umgearbeitet und bin in diesem TV-Special (Roy Orbison and Friends: A Black And White Night) über ihn aufgetreten, mit Springsteen,JamesTaylor und vielen anderen berühmten Stars. All diese ganzen Dinge brauchen eine Menge Zeit Ich hatte diese Zeit, weil mein Anwalt die ganze Zeit mit den WEA-Anwälten verhandelte (seine neue Firma, erstmals); diese Leute spreachen eine Sprache, die niemand versteht. Die Verträge, die man heutzutage von Plattenfirmen kriegt, sehen aus wie Bibeln, sie sind so kompliziert, sie müssen soviele Eventualitäten abdecken, technologische Fortschritte miteinplanen und so, du mußtdeinem Anwalteinfach vertrauen, oder schnell einen Abschluß in Jura machen. Während sie da also verhandelten, verging eine Menge Zeit, ohne daß sie meinen Namen in die Zeitung gebracht hätte. Aber das ist o. k., ich war vorher in der Zeitung, und ich werde es wieder sein. Die ganze Zeit fuhr ich mit meinem Kram und mit meinen Kollaborationen fort, und diese ganzen Sachen kommen jetzt im Augenblick 'raus, Roy Orbison, 'Til Tuesday, im Sommer Paul McCartney... und 'Spike' natürlich.«

Man sieht: Costello hat die letzten Jahre eine irre Menge Zeug getrieben, ohne daß hier auch nur einer was davon gemerkt hätte. Besonders großes Aufsehen erregt da natürlich die Kooperation mit Macca, die sich auf „Spike" in zweimal Bass-Spielen (einmal Rickenbacker, einmal Häfner) und zweimal Co-Komponieren niedergeschlagen hatwas man dem Bassspiel aber beinahe noch mehr anhörtals den Kompositonen (Yeronica", die Single, und „Pads, Paws and Claws"). Die klingen eigentlich wie ganz normale Costello-Stücke, höchstens im „Spike"-Umfeld etwas poppiger, und das auch nur Veronica".

»Um ihm gegenüber fair zu sein: die Arbeit an diesen Stücken war eher technisch als inspiratorisch. Das klingt natürlich alles nach mir, er hat mehr so in Geschmacksfragen assistiert, oder mir wie ein Facharbeiter dabei geholfen, die Geschichte effizient zu erzählen.« 

»Als er mich darum bat, mit ihm zu schreiben, hatte ich nur eine Befürchtung: daß wir uns also in so einen Raum begeben würden, mit zwei Gitarren, um da also so zusammen zu schreiben, und keiner hätte auch nur die geringste Inspiration. Das war meine Vision. Ich war in Panik. Er war es wie ich gewohnt, alleine zu schreiben, er hat zwar außer mit John Lennon noch mit ein paar anderen zusammengearbeitet, aber trotzdem. Deshalb war eine Art Beraterfunktion bei schon vorhandenen Stücken von ihm oder von mir zunächst genau das richtige. Als wir das gelernt hatten, konnten wir anfangen, Songs zu schreiben, bei denen man die McCartney- oder McManus-Pieces suchen kann. Ich denke, die Welt hat die wahre Zusammenarbeit zwischen uns beiden einfach noch nicht gehört, das wird dann auf seiner Platte soweit sein. Auf jeden Fall schätze ich, daß die Stücke anders klingen würden, wenn ich sie alleine geschrieben hätte. Aber sowas wüßte man ja nur, wenn man eine Sekretärin in die Ecke setzen würde, die dann wie bei einem Meeting Notizen macht: 'Dann sagte Mr. McCartney: Nein, ich denke, was Sie brauchen ist ein E major 7.'« 

Das wäre doch gut.

»Stimmt.« 

Was ist mit den anderen Berühmtheiten? Man muß da wohl unterscheiden zwischen Stars, die jeder kennt und Stars, die es nur in ihrem speziellen Bereich sind.

»Genau. Das kam so: Nachdem ich und T-Bone Burnett uns definitiv dazu entschlossen hatten, daß es keine Rock & Roll-Platte werden sollte, sondern wir auf etwas hinauswollten, daß jedem Stück einen spezifischen Charakter geben sollte, mit einem viel breiteren Instrumenten-Spektrum, fielen mir sofort meine Lieblingsmusiker auf jedem Instrument ein. Was, wir brauchen eine Harfe? Dann laß uns Derek Bell anrufen. Schlimmstenfalls sagt er nein. Und was passierte war, daß niemand nein sagte. Alle sagten sofortzu. Plus die Leute, in die wir per Zufall rannten wie Roger McGuinn, der seinem Stück („This Town", mit derzeitjeder-manns Lieblingszeile »... you're nobody 'til everybody in this town thinks you're a bastard.«) auch eine Menge Charakter gegeben hat Ich meine, wir hätten auch IRGEND-EINEN 12-String-Gitarristen nehmen können, einen, der ihn kopiert...So kam das alles. Journalisten wollen natürlich lieber was über Paul McCartney oder Chrissie Hynde (bei einem Stück zu hören, aber nur wenn man es weiß) wissen, aber für mich sind die anderen genauso berühmt Derek Bell isteinfach der Celtic-Harp-Spieler schlechthin.« 

Derek Bell ist aber auch Mitglied der Chieftains, deren Paddy Moloney Andreas Banaski jüngst die Ehre hatte zu interviewen. Verbindungen zwischen Morrison und Costello lassen sich, bis auf die gleiche ange-borene Ältlichkeit (oder auch Würde, je nach dem), dennoch eher musikalisch ziehen, vor allem gegen Ende von Spike. »Van Morrison und die Chieftains zusammen, das war wie zwei Fußballteams auf neutralem Boden. Der Unterschied zu meiner Arbeit mit den Leuten liegt darin, daß Van Morrison ja nicht seine Songs folkig klingen lassen wollte, sondern wirklich traditionelle Folkstücke gesungen hat. Ich dagegen filtere meine (Pop-)Stücke durch die Folkinstrumentierung. Besonders auf der LP, wenn diese beiden Stücke hintereinander kommen (auf Cassette und CD sind sie Rücken an Rücken),wird die Stimmungwirklich sehr... dick. Selbst auf 'Last Boat Leaving', wo nur ich, Jim Keltner und T-Bone Wolk spielen, ich Piano, Orgel und Gitarre, Wolk Bass und Keltner Schlagzeug. Und Cait spielt Schlittenglocken und ich Schiffsglocken. Die Atmosphäre ist schon fast hoffnungslos, denn es heißt 'last boat leaving', nicht etwa 'many boats leaving'.« Ein sehr trauriges Stück, aber noch trauriger, das trau-rigste Stück Musik der Welt über-haupt derzeit, ist „Baby Plays Around",weil man natürlich diegan-zeZeitan den alten Elvis und die (ei-gentlich auch gar nicht mehr soo furchtbar) junge Cait denken muß, die ihn allein zu Hause sitzen läßt ›She walks those shiny streetsil walk the worn out floor«), weil ihr Spieltrieb noch zu groß ist, welchen er ihr zugestehen muß, aber, oh das tut weh ... In Wirklichkeit stammt das Stück von ihr, Costello hates nur in die richtigen Akkorde gefaßt, oh-ne daß er zur eigenen häuslichen Situation irgendwelche Parallelen se-hen würde. »Weil es so eine traurige Geschichte ist, kann man es nicht anders erzählen als in der ersten Per-son. Manchmal ist es so unehrlich, wenn man versucht... es ist, wie wenn Hollywood ein Buch in die Finger kriegt Dann wird manchmal ohne jede Logik am Ende alles in Ordnung,weil sie denken, das Publi-kum erträgt Wahrhaftigkeit so schlecht Sie denken, das Ende muß befriedigend und positiv sein. Aber das ist Unsinn, weil das Leben so nicht funktioniert, den Weg zu den positiven Dingen muß man sich mühsam suchen. Durch die dunkel-sten Stunden. Wie das alte Lied schon sagt 'The darkest hour is just before dawn.'«

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Spike ist der mittlerweile hoch-verfeinerte, vom Alltagsgeschehen unabhängige (Lieblingsplatten der letzten Zeit: /The Only Way Is Up", „Buffalo Stance", Aerosmith, Bon Jovi) Costello in der Reifephase, der so für immer weiter machen kann. Costello, der auf dem irgendwie doch eher unschönen Clown-Cover schon aufs heftigste das Bild des verantwortungsbewußten Tra-gikkomöden abgibt, den er dann auch voll auslebt. Was zweifellos von Prince Charles geschätzt wer-den dürfte, auch wenn er sich explizit Margaret Thatchers Tod wünscht, weil er gerne auf ihrem Grab den Dreck festtreten möchte. Auch das klingt bei Costello wie das Liebes-lied eines einsam zu Hause Gelassenen (aber das kann ja durchaus ein Arbeitsloser sein). In englischen Interviews hegte er die bange Befürchtung,waswohlwäre,wenn sich all die Geknechteten und Entrechteten, Krüppel und Arme über ihre Peiniger erheben würden und sich herausstellen würde, daß sie alle Idioten wären? Und vor allem, daß das ja nicht so unwahrscheinlich wäre bei Leuten, die sich z.B. Gott immer noch wie den Weihnachtsmann vor-stellen. Dazu hat er sich ein Bild einfallen lassen, das Gott als müden, alten,aber komischen Mann zeigt, der auf einem Wasserbett liegt, Import-Cola trinkt, einen Roman aus dem Duty-Free-Shop liest und dazu Andrew Lloyd-Webbers „Requiem" hört »Ein wie die meisten sehr GROSSES Thema,weshalb man eine kleine Geschichte daraus macht, um zu illustrieren, was man fühlt Ich kann mir keinen anderen Weg vorstellen.« Oder dieser Artikel über einen Staat in Zentralamerika, in dem die Regierung Analphabetismus fördert, um regierungsfeindliche Propaganda zu verhindern, was ihn wiederum zu einem Song über einen Bumsbomber-Touristen in Bang-Cock inspirierte,der seinem Thai-Mädchen im Jacuzzi noch erzählte, als er voller billigem Champagner war, was für ein Hot Shot er ist, bis sie in seine große Stadt mitkommt Wo sie sich aus Überdruß über »the lack of glamour and danger in West German cities today« Kaugummi in die Ohren stopft, um seine, die Propaganda eines Junior-Angestellten, nicht mehr hören zu müssen. »Eine kleine jämmerliche Tragödie - oder auch Komödie - über Aller Eitelkeiten.« Manchmal möchte Elvis Costello verrückt werden über all die Jämmerlichkeiten, die die Welt zu bieten hat. Inzwischen hateraber eine Artzu denken adaptiert, die ihm erlaubt, die beim Anblick verschiedener Jämmerlichkeiten entstehende Verrücktheit zu simulieren und damit zu kontrollieren und »als dramatisches Werkzeug einzusetzen.« Die konsequente Ausformung dieser Haltung istStalin Malone, die Type, die am hinteren Tisch in der Kneipe sitzt und sich plötzlich sehr seltsam zu Wort meldet Ist als Pseudonym und als Song vorrätig, der auf der Platte seltsamerweise instrumental mit abgedrucktem Text vorgetragen wird. Weil angeblich kein Platz mehr für eine Gesangslinie ist, kein Wunder, wenn man die ganze Dirty Dozen Brass Band (keine Ahnung, wer das sein soll) reinbratzen läßt.

Womit wir bei einem Problemkreis wären, der sich speziell bei einer so musikantischen Art Musik großer Beliebtheit erfreut: der Live-Präsentation. Man plant, einer ausgedehnten England- und US-Tour-nee eine durch Europa folgen zu lassen. Und zwar solo, bzw. in England wohl mit Nick Lowe. »Mir ist nichts anderes eingefallen, um die Songs angemessen zu repräsentieren. Wenn die Leute wissen, ich komme allein, denken sie nicht, ich hätte irgendeinen magischen Weg gefunden, die Platte zu reproduzieren. Man kann sich die entsprechende Band ja kaum vorstellen. Wir haben schon hart genug daran gearbeitet, die Platte gutklingen zu lassen,denn viele von den Instrumenten klingen nicht naturgemäß gut zusammen. Wenn man die alle zusammen auf eine Bühne stellen würde, würde eventuell ein Klang entstehen, der nicht so besonders schön wäre. Es könnte eine furchtbare Kakophonie geben, man würde die Songs nicht mehr erkennen. Und diese ganzen Konfliktherde 'mit diesen ganzen Leuten auf Tour. Wenn man es sich überhaupt leisten könnte, was ich nicht kann.« 

»Also spiele ich solo. Das ist wahrscheinlich das wildeste, was man überhaupt machen kann. Du kannst von der Bühne springen, du kannst einen Song dreimal spielen oder mittendrin abbrechen und einen neuen anfangen. Mit T-Bone Burnett machte ich vor ein paar Jahren eine Solo-Show, da spielten wir zweimal 'Instant Karma'. Das meine ich.« 

Was er mit den Attractions im Prinzip auch könnte. »Da haben wir ja mittlerweile so eine Grateful-Dead-Plattform erreicht, nicht nur,was diese ganzen Nebenbeschäftigungen angeht, von denen man dann von Zeit zur Zeit zur Band zurückkehrt, sondern vor allem eben, was dieses schlafwandlerische Gefühl angeht, das sich einstellt, wenn man mitvier Leuten sehr,sehrlangzusammen gespielt hat und man sich wie ein Auto mit Vierradantrieb oder ein Schneemobil in Bewegung setzen kann, sobald man sich auf die Richtung geeinigthatWir konnten unserganzes Material nehmen und die Hölle aus ihm herausprügeln, und das gleiche am nächsten Tag sehr kontrolliert, sehr schön spielen. Es gab Gelegenheiten, da haben sich die Attractions und ich, weil wir uns so gut kennen, soweit vom Song entfernt und das Arrangement derart auf die Spitze getrieben, daß vom Song nichts mehr übrig war, daß er nichts mehr bedeutete. Aber es hätte keinen Sinn, eine Nostalgie-Tour zu machen. Wenn es neues Material gibt, das wirzusammen machen können, fein.« 

»Steve (Neive) wollte auf Spike nur unter der Bedingung mitspielen, daß er bei allen Stücken beteiligt ist Da mußte ich natürlich sagen: Hey, Mann, hör zu, ich will nunmal diese ganzen Pfeifen und Harfen, und ich weiß, du bist gut, ja, ich weiß auch, daß man diese ganzen Sounds samplen kann, aber selbst mit dem sophisticatedsten Synthesizer kann man die Haltung des Musikers zu seinem Instrument nicht programmieren.«

Das hat bei manchen Stücken dazu geführt, daß sie hier und da fast nur noch aus ungewöhnlichem Arrangement und Atmosphäre bestehen, besonders dann, wenn er dem Tom-Waits- (und ich glaube auch Lounge Lizards-) Gitarristen Marc Ribot im Team mit Michael Blair die Zügel schießen und Soundscapes gestalten läßt (»Der Sound als Skulptur«) die Faszination des Brutal-Metallisch-Impressioni-stischen also, das gleichzeitig natürlich auch an die typischen Tom-Waits-Arrangements der letzten Zeit erinnert, die meine Sache nicht sind.

»Man kann sich natürlich bis ans Ende der Welt Gedanken machen, wie irgendetwas anders geklungen hätte. So, wie sich die Leute immer eine Beatles-Reunion gewünscht haben. Die Wirklichkeit hätte sich von der Vorstellung wohl ziemlich unterschieden. Ich habe mich definitiv entschieden und stehe dazu. Ich habe jedes Stück als eine Weltfür sich betrachtet und versucht, diese kleine Welt musikalisch so weit wie möglich zu bringen. Ich folge meinen Instinkten viel mehr,als man annimmt.« Oh wie richtig. Man folgt ihnen, und vielleicht haßt man sich dafür in einem halben Jahr, aber einmal entschieden, sollte man bis auf weiteres konsequent bleiben, wogegen bei ihm nun ganz bestimmt nichts spricht.

Komisch, daß er sich die ganze Zeit im voraus verteidigt gegen Vorwürfe, die ich ihm gar nichtgemacht hätte. Abgesehen davon ist der aktuelle Elvis Costello genau das, was versprochen wurde: redefroh, freundlich, mit leichtem Haferstich, so, wie Männer wohl sind, wenn sie bald Vater werden. So wie der späte, milde John Lennon.

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Spex, March 1989


Hans Nieswandt profiles Elvis Costello.

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Page scans.




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Photos by Moni Kellermann.


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Cover.

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