Spex, November 1983

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Spex

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Costello

Es ist mies ein Kult zu sein

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   Thomas Schwebel

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Also, ganz so schlimm wie Dirk Scheuring es sieht, ist es ja nun doch nicht. Nun mag sich ja das Teenager-Verhalten geändert haben — endlich! wurde doch Zeit — und so viele Platten werden auch nicht mehr verkauft — (immer noch genug) — aber grundsätzlich von Konkurs zu sprechen heißt einfach, die Flinte ins Korn zu schmeißen und gar nichts mehr mitzukriegen. Die eine Stimme, die sogenannte verbindende Kraft, in der Pop-Musik gibt es ja schon seit ungefähr 75 Jahren nicht mehr, die Zersplitterung in tausend kleine Grüppchen und Richtungen — jede mit ihren eigenen Flügelkämpfen — ist eine zu große Normalität geworden, um überhaupt noch darüber sprechen zu müssen; daß sich Bands auflösen, ist erst mal nicht schlimm, sondern für den Fan allerhöchstens traurig, aber verdammt nochmal: die Musiker gibt's doch weiterhin. Kein Mensch muß nach der Auflösung einer Band, in der er mal gespielt hat, von vornherein erledigt oder für die „Sache" — was immer das ist — verloren sein. In diesem Jahr gab 's die Fun Boy Three-LP, es gab Culture Club, Aztec Camera, Michael Jackson, das John Cale-Konzert und so vieles mehr!

Und dann sind da noch die großen Individualisten, die sich sowieso um dieses ganze Geschrei einen Dreck kümmern und uns immer wieder mit Uberraschun gen und wirklichen Neuerungen Wege weisen. Einer von denen ist Elvis Costello.


1. Good manners and bad breath get you nowhere
1978

Das Audimax in Hamburg ist grauenhaft, Studentenbänke zum sich reinklemmen und sitzenbleiben, eine flache riesige triste Bühne, null Umgebung, verloren stehen Menschen mit Gitarren einer Wand von Holz und Fleisch gegenüber. Auf dem Plakat stand klein „Suicide" und etwas größer „Elvis Costello & the Attractions". Alles roch nach New Wave. Es war die Zeit, wo interessante Konzerte nur in Hamburg und Berlin stattfanden, die Zeit der langen Autofahrten und schlaflosen Nächte.

Und dann diese Halle: Ordner drückten einen in die Bänke oder auf die Treppenstufen runter, das Publikum bestand aus diesen Leuten, die sich damals schnell mal den neuen Trend angucken wollten, um dann doch nur zu sagen, daß die Wahrheit in den Sechzigern lag. Elvis Costello wurde damals für einen derjenigen gehalten, die für alte Musikkritiker die akzeptable Seite des ganzen Welle-Krams darstellten — er schrieb Songs, keine Hymnen, war beeinflußt von Van Morrison und Country anstatt von lggy Pop und Marx und schien so richtig greifbar und eindimensional wie Graham Parker, kurz: eigentlich nur alter Rock mit neuem Namen.

Jedermann übersah, daß in den netten Liedern, in den ehrwürdig gealterten und veralteten Stücken der ersten LPs mehr drin war als nur "This Year's Model". Man hatte noch nicht entschieden, ob und wem man für die nächste Zeit sein Herz schenken sollte, zuviel war bis dahin schon passiert, und zum Verlieben eigneten sich ja auch nur die wenigsten Stücke dieses merkwürdigen Herrn. Man war also in Hamburg, um's mal gesehen zu haben, niemand dachte an etwas besonderes und ,Suicide' waren ja eigentlich noch interessanter. Das Licht ging aus und Alan Vega, Verkünder unangenehmer Wahrheiten, das Gegenteil des bei uns so beliebten amerikanischen Rockstars, gab seine Version des Großen Traums; die Zuschauer pfiffen und lachten wie ertappte Kinder. Nach einer halben Stunde physischer und psychischer Gewalt seitens der Musiker konnte die Menge aufatmen: es war erstmal vorbei, jetzt geht's ja erst richtig los, was war'n das für'n Quatsch eigentlich?


2. Clowntime is over
1983

Punkt 9 Uhr ging das Licht dann wieder aus und es ging eigentlich nur da weiter, wo Suicide aufgehört hatten. Stück für Stück kam ohne Pause, ohne Erholung oder Luftholen von der Bühne, es wurde ein Stück daraus und eine Attitüde, eine Tirade gegen Falschheit und Liberalität (die zwei Begriffe gehören zusammen). Doch was bei Suicide noch halbwegs ertragen wurde — bei Avantgarde gehört's ja dazu — schlug nun bei Costello zurück. Um 10 Uhr, Punkt 10 Uhr, hörte er auf, war verschwunden, SCHWUPPS, Licht an und schon ging's Pfeifen los, und was bei Suicide eher wie Vogelgezwitscher gewesen war, wurde nun ohrenbetäubend. Wo war die Vorstellung der großen Rock-Musik-Peter-Rüchel-Familie geblieben? „Das sind ja Faschisten alles", dieser „Ich-will-nichts-neues-mehr"-Gedanke der aufgeklärten deutschen Studentenjugend diente schnell als Er-klärung und Erleichterung für diejeni-gen, die ja eh schon alles kennen. Doch da auch die Geschichte manch-mal gerecht verläuft, wurde Elvis, das Arschloch, ein Star.

„Wenn man mit einem 35jährigen Hippie konfrontiert wird, der einen fragt, was der Unterschied zwischen Punk und New Wave ist, sagt man schon mal komische Sachen. Ich hab' versucht zu irritieren. Ich hab' viel ge-sagt — manches hatte, glaube ich, sehr gute Wirkung. Es ist sehr viel besser, eine definierte Haltung zu haben, selbst wenn sie negativ ist..."

Die Geschichte bis jetzt: Elvis wird ein Star, Nr. 1 in England mit „Armed Forces", Top Ten in Amerika, die Tür stand offen, er mußte nur noch durchgehen. Eine Tour durch Amerika findet jedoch fast ein abruptes Ende durch einen Skandal, der nach einer Barschlägerei mit einigen älteren kalifornischen Rockmusikern durch ebendiese ausgelöst wird, damit sie auch mal wieder in der Zeitung stehen und um es diesem arroganten englischen Emporkömmling gezeigt zu haben. 18 Monate bleibt Elvis Amerika fern und produziert in dieser Zeit die erste LP der Specials, beweist mit „Get Happy" endgültig und für alle Zeit, daß Soul auch jenseits der alten Klischees von „White man can't play the blues" existieren kann (und er beweist es gründlicher als Kevin Rowland, der damals noch mehr seine Fan-Haltung dieser Musik gegenüber auslebte). Das Konzert 1980 in Köln zeigte schon einen wesentlich entspannteren selbstsichereren Menschen als Hamburg. Vergangenheit war die unbedingte „Frißoder-stirb"-Haltung dem Publikum gegenüber, Selbstvertrauen war an die Stelle von physischer Gewalt getreten. 1981 kam dann „Trust", mehr ein Rückschritt und ein auf der Stelle treten als wirkliche Weiterentwicklung, ein Album mit in Nashville produzierter Country-Musik, „Almost Blue", erschien im Herbst und die Frage „was nun?" umkreiste alle Kritiken und Berichte, die über ihn damals erschienen. Und was nun kam, konnte keiner vorausgesehen haben. Wenn es je Zweifel an ihm gegeben hatte, sie wurden mit einem großen Schlag ausgeräumt und an ihre Stelle trat „Imperial Bedroom", neben John Cales „Music for a New Society" das beste Album des letzten Jahres. Während alle Welt über das neue englische Pop-Wunder diskutierte (zu einer Zeit, als das Ende eigentlich schon erreicht war) und damit die ABC-Trommelwirbel meinte, kam da eine Platte, die wirklich Pop war und nichts als „Pure Pop", eine Musik, die zeigt, was aus diesem Medium noch alles herauszuholen ist. Es gab keinen „Sound", es gab keine Richtung mehr, die bindet oder verpflichtet, es gab nur noch das Spiel mit den Regeln, das bewußte zitieren und die geplante Regel- und Grenzüber-schreitung, um zu neuen Zielen zu kommen.

„Punch the Clock" brachte die kommerzielle Bestätigung für Costellos neuen Kurs, die feste Gruppe der Attractions (ohne Zweifel eine der besten Gruppen überhaupt) wurde um die früheren Dexys-Bläser und zwei Background-Sängerinnen bereichert. Zusammen mit einer großen Tour und den besten Verkäufen seit „Armed Forces" erscheint seine Position stärker denn je.


3. The invisible man

Nach 3 Jahren eisigen Schweigens gegenüber Journalisten brach Elvis vor einem Jahr mit dieser Tradition und fing wieder an, Interviews zu geben. Ein ausgesprochen redefreudiger Costello erzählte in mehreren Gesprächen mit dem NME und FACE soviel über sich, daß für uns eigentlich gar nichts mehr übrig blieb. Die Atmoshpäre im Hotel Bredeney, wo die Rockpalast-Gäste während der Zeit wohnen, tat ein übriges. Ein etwas unkonzentrierter, erkälteter Costello saß da um 7 Uhr abends vor dem Konzert in einem Konferenzsaal, allein und nach 8 Interviews vorher ziemlich am Ende und schlicht und einfach müde. Im Laufe des Gesprächs fand er sich aber wieder und war teilweise dann gar nicht mehr zu bremsen.

Ob er denn nervös sei und wüßte, was er da in Essen eigentlich zu erwarten habe?

„Man midi das einfach verdrängen, daß da soundsoviele Millionen zugucken. Für uns ist das jetzt einfach ein Auftritt in einem Land, wo wir noch nicht oft gespielt haben. Ich hab' den anderen gesagt, sie sollten nicht nervös sein, weil es nur 20 Millionen und nicht 40 Millionen sind ... ich hoffe, daß auch einige wegen uns in die Halle gekommen sind und ich hoffe, sie sind bereit. Wir sind gut genug."

Würdest du das Experiment von „Almost Blue" wiederholen, ein Album nur mit Coverversionen?

„Nein, im Moment sicherlich nicht. Die Coverversionen, die wir machen, spielen wir live. Das sind oft Sachen, die man nicht auf Platte bringen würde. Was ich an Musik gut finde, finde ich oft in Songs von anderen Leuten, aber noch mal ein ganzes Album .. . vielleicht später."

Und „Almost Blue"?

„Die Sache dabei war, daß wir die Stücke anders spielen als sonst jemand. Das war die Idee dahinter. Wir sind nicht Country, wir haben auch nicht versucht, authentisch zu sein, aber das sind großartige Songs.

Ich war in einer sehr deprimierten Stimmung als wir das aufnahmen, und diese Songs haben das Gefühl viel besser ausgedrückt, als alles, was ich hätte schreiben können. Die Stücke waren alle schon da, ich brauchte sie nur noch zu singen. Und das war gut, denn die Stücke, die ich zu der Zeit von ,Almast Blue' geschrieben hab; waren vollkommen verschieden von den Sachen, das waren die Stücke von ‚Imperial Bedroom' ... und diese Stücke waren so ganz offensichtlich anders und so hatte ich Zeit, genau darüber nachzudenken, wie das nächste Album werden sollte. Es war ein Jahr Pause zwischen ‚Trust' und ,Imperial Bedroom, obwohl das nicht so bewußt passiert ist, sondern mehr ein zufälliges Resultat dieser ganzen Sache."

Gibt es vorher ein Konzept bei einer Platte, etwa bei „imperial Bedroom"?

„Nein, ich seh' das nicht als ein Konzept, sondern man verfolgt einfach nur während der ganzen Zeit, die das Songschreiben braucht, bestimmte Gedanken und Themen. Das Endresultat ist dann immer von einer bestimmten Haltung geprägt, aber KonzeptAlben machen wir eigentlich nicht."

War „Imperial Bedroom" der Versuch eines Gegendie-St römung-schwimmens?

„Das war die Idee, sicherlich. Wenn die Platte wirklich erfolgreich gewesen wäre, hätte sie die Pop-Musik grundlegend verändern können, denn die Leute hätten das dann halt kopiert, so wie sie jede erfolgreiche Platte kopieren. Es waren so viele Ideen darauf und wir haben uns ein bißchen wegtreiben lassen von den Ideen, die auch nicht alle gut ausgeführt waren, das ist klar. Es war einfach zuviel. Es waren soviel Möglichkeiten dabei, und das alles war zuviel für's große Publikum. Aber es war eine große Chance und ein großes Risiko, und ich bin froh, daß wir das Risiko eingegangen sind. Die Stücke, die ich danach geschrieben habe, mußten dann einfach viel disziplinierter gemacht werden, das ist ,Punch the Clock'. Ich finde viele der Sounds auf ,Imperial Bedroom' ... eher fröhlich, wie Left Bank, wie eine Psychedelic Pop Group. Die Musik widersprach ganz offensichtlich den Texten, während es bei ,Punch the Clock' andersherum ist. Das sind halt zwei verschiedene Wege zu arbeiten, ich sage nicht, daß das eine richtig und das andere falsch ist Es ist verschieden und es macht Spaß.

Der Wechsel in der ganzen Zeit von Platte zu Platte, das ist die Idee und der Zweck des Ganzen. Niemand kann „Punch the Clock' Teil Zwei erwarten, genauso wenig, wie niemand , Imperial Bedroom' Teil Zwei erwarten kannte."

Jemand hat geschrieben, daß das „Punch the Clock"-Album und der Auftritt im Rockpalast und die 50 Interviews in Amerika und hier der Versuch seien, aus so einem Kult-Status auszubrechen?

„ Warum nicht Es ist ziemlich mies, ein Kultau sein. Man kann sehr eingebildet werden als Kult. Ich habe von uns nie als von einer Kult-Gruppe gedacht. Wir haben nie Platten für einen Kult gemacht. Ich habe bei jeder Platte von uns gedacht, daß das die größte Sache wird, die wir je hatten. Obwohl ich auch wußte, daß da keine Single auf ,Imperial Bedroom' war, weil kein Stück die Platte hätte repräsentieren können. Die Idee und die Absicht war ja, daß jedes Stück verschieden ist vom Rest der Platte und ein bißchen trifft das auch für ,Punch tlw Clock' zu. , Everyday I Write the Book' repräsenden nicht ‚Puls and Soap' und trotzdem ist es halt die Single, die uns am meisten Aufmerksamkeit für das Album bringt. Es ist nichts schlechtes daran, gute Singles zu machen. Das wichtigste ist doch dabei, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, nur weil nette Sachen über dich in der Zeitung stehen und Leute sagen, wie gut du bist. Und du verkatifst keine Platte mehr. Ich schreibe Songs, die soviel Leute wie möglich erreichen sollen. Ich mache keine Musik, die darauf aus ist, genau 100.000 Leute zu erreichen und keinen mehr! Das ist doch eine sehr negative Einstellung.

Ich hab' nie darüber nachgedacht, mein Publikum zu verlieren, auch nicht nach ‚Imperial Bedroom'. Ich sprach danach mit Clive Langer, und wir waren uns einig, daß wir eine direktere Platte machen könnten, und das haben wir auch getan. Und ,Punch the Clock' hat dreimal soviel verkauft wie ,Bedroomi, also waren wir auch erfolgreich in dem Punkt. Die nächste Frage ist, was wir jetzt mit dem größeren Publikum, das wir haben, anfangen. Wir hatten schon einmal ein so großes Publikum nach ,Armed Forces' und haben dann willent-





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Spex, November 1983


Thomas Schwebel interviews Elvis Costello.

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Cover photo by Wolfgang Burat.

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