Spex, September 1982

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Spex

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Elvis Costello


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   Gerald Hündgen

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Alle mögen Elvis Costello. Niemand, der sich traut ein böses Wort über Imperial Bedroom' zu sagen. Dabei will die Platte so gar nicht in den Rahmen gängiger Minnelieder passen. ABC oder Human League oder Depeche Mode... sie alle besingen eine Liebe. die alles verspricht und doch nur zur kurzfristigen Wunschbefriedigung zu taugen hat. Sie interessiert vor allem als grandioses Prickeln, als Flucht aus dem tristen Alltagwird sie selbst zu einem Teil davon, ist der Reiz dahin und ab geht's ins nächste Abenteuer.

Bei Elvis Costello ist ebenfalls Liebe das zentrale Thema, aber als Spannungsverhältnis zwischen zwei Menschen, deren anfängliches ‚Verliebtsein' längst ,Vertrautheit gewichen ist.

Auf einer zu Promozwecken in den USA verteilten Begleitplatte mit Erklärungen zu den einzelnen Songs von ‚Imperial Bedroom', aus der der NME Auszüge veröffentlichte, äußert er sich z.B. über ,Little Savage': ”Die meisten Liebeslieder werden geschrieben mit der festen Vorstellung von gerade gefundener oder gerade verlorener Liebe. Es gibt nicht einmal annähernd soviel über Leute, die in der Mitte stehen. Aber es gibt eine Masse solcher Leute und das sind diejenigen, die nicht wissen, ob sie ,Mr. Average' oder ,Little Savage` sind."

Von Stück zu Stück wechselt die Perspektive, die Rolle, die er einnimmt. Er beschäftigt sich mit den — nur für den Außenstehenden — banalen Dramen, die vom bloßen Zuspätkommen des Liebhabers und den daraus folgenden Ängsten ihren Ausgang nehmen.

Er hat dabei keine Botschaften zu verkünden, keine Rezepte für Lebenslagen zu verteilen. Ihm geht's allein darum, Situationen aus der Sicht der Akteure deutlich zu machen. Eine Rolle, die er auf ,Imperial Bedroom' einige Male einnimmt. ist die eines ,Kid', das die erste große Enttäuschung noch — meist gerade — vor sich hat, die es dann mit einem endgültigen Verlust an Naivität bezahlen muß: der Sündenfall, von wo an sich Hoffnungen ständig in verlorene Illusionen verwandeln werden und es kein Zurück mehr gibt, man nicht vorgeben kann. es wäre nichts gewesen.

Wenn es so etwas wie Schicksal gibt, dann ist es dies. sich damit abzufinden, daß einmal gescheiterte Träume nicht mehr zurückzuholen sind. Aber es sind nicht allein die Resultate unserer persönlichen Erfahrungen, die unser Leben in eine bestimmte Richtung drängen. Auf Schritt und Tritt sind wir Mächten ausgesetzt, die unser seelisches Gleichgewicht. unsere Identität bedrohen. Elvis Costello nennt in .Man Out Of Time' eine dieser ,Mächte' beim Namen — dieselbe Gesellschaft. die einen Menschen um den Job gebracht hat, hängt ihm dies als Makel an. der seine Würde und damit seine Liebe gefährdet.

Bei Elvis Costello stellt sich ein Widerspruch zwischen ,Persönlichem' und ,Politischem' gar nicht ein. Die Stimmung der Songs auf ,Imperial Bedroom' spiegelt ein allgemeines Klima ständigen Bedrohtseins wider. Nicht von Turbulenzen, die das Leben erst richtig aufregend machen, sondern von Einbrüchen, die geradewegs zur Katastrophe führen können.

‚Imperial Bedroom` besteht ausschließlich aus eher langsamen Stücken, die Szenarios, Augenblicksausschnitte von zwei Menschen in einer (Krisen-) Situation vorführen, die Entscheidungen erzwingen.

Die Entwicklung seit seiner ersten LP ,My Aim Is True' ist unverkennbar. Damals war er ein beinahe zynischer Giftzwerg, der in rasanten Pop-Songs die Wut über seine Niederlagen dem Hörer ins Ohr tönte. Heute hat er diese Enttäuschungen kanalisiert, in Bilder einfließen lassen, die stets von sehr verhaltener Musik umgeben werden.

So wird man hier vergebens nach ,Pop-Songs' suchen, die das Mitpfeifen oder besser Summen nahelegten. Wenn man darunter jedoch das möglichst effektive Umsetzen von Worten, Stimmungen unter Verzicht auf technischen Aufwand und das Eingehen auf die Genußsucht des Hörers versteht, dann haben wir's hier mit Pop-Musik zu tun. die seit langer und für lange Zeit unübertroffen ist 'bleibt.

Balladen nannte man dergleichen mal. Aber es sind keine Balladen im herkömmlichen Sinne von .Yesterday' bis ,Dock Of The Bay' — die Tristesse der Situation wird weder durch einen untergehenden Mond noch die Möglichkeit des Schwelgens im Selbstmitleid gemildert. Elvis Costello verliert sich nicht in seinen Songs — er führt aus der Distanz etwas vor. ohne dem Hörer die Entscheidung abzunehmen, welche Stimmungslage im Bereich Niedergeschlagenheit bis vage Hoffnung zu wählen ist.

Zum ,Get Happy!' forderte Elvis Costellos eigene Aufarbeitung klassischer Soul-Tradition auf. Und das war's auch, was Soul-Musik immer ausmachte. sich Lust am Leben zu bewahren in einer Zeit armseligster Aussichten. ,Almost Blue' war dann sein Eintauchen in die C & W-Musik, deren ,Grundstimmung verschrobener Stoizismus und deren Grundthema Schande ist' (Simon Frith).

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich ,Imperial Bedroom'. Elvis Costello will an die Mögliochkeit von ‚Liebe' glauben. weiß aber aus Erfahrung, daß er mit jedem neuen Versuch wahrscheinlich scheitern wird.

Die beiden einzigen anderen Möglichkeiten mit den zu erwartenden Enttäuschungen zurecht zu kommen wären Eskapismus oder Zynismus — Varianten derselben Weigerung, sich Risiken auszusetzen. wirklich zu leben und zu lieben.

„Zur Hölle mit dem Nachruhm. Es ist besser zu leben als jung zu sterben, was dumme Leute für etwas Romantisches halten. Für jeden Junkie-Musiker oder Alkoholiker-Schreiber, der stirbt unter diesen merkwürdigerweise für romantisch gehaltenen Umständen, gibt es irgendwo eine Mutter. einen Vater oder eine Schwester, die sich die Augen darüber ausheulen. Ich meine, sie sind diejenigen, die den Kerl begraben müssen. Es geht einfach um den Wunsch zu leben, statt zu sterben." (Ebenfalls aus besagtem Promo-Interview)

In einem früheren Interview hatte Elvis Costello besonderen Wert darauf gelegt, ihn nicht für abgeklärt oder ,reif' zu halten. Das ist wohl immer noch so. Denn ,Imperial Bedroom' ist eine Platte des Zweifels, der Unsicherheit und der Fragen. die nicht verschwinden. wenn man sie bloß ignoriert. Sie schneidet alle Fluchtmöglichkeiten ab.

Nochmals der Meister selbst (über ‚Pidgin English'): Mode ist eine gute Idee, weil es einem ein Gefühl für Stolz geben kann. Aber wenn sie zu einer bloßen Verkümmerung der Intelligenz wird, ist sie gefährlich. weil man am Ende manipuliert wird von Leuten. die einem die Fähigkeit genommen haben, etwas anderes zu sagen. Der einzige Grund für mich. einen Pop-Song über diese Sache zu schreiben, besteht darin, daß es zu einer allgemeinen Krankheit geworden ist."

Ursprünglich sollte die Platte den Titel ,This Is A Revolution Of The Mind' tragen, damit wollte Elvis Costello anzeigen, daß „eine gesunde Änderung der Haltung" erforderlich sei. ‚Liebe' ist für ihn mehr als ein mehr oder minder vergnügliches Bedürfnis des Menschen. In ihr laufen alle jene Werte zusammen, die wirkliche Menschlichkeit ausmachen: Solidarität, Vertrauen, Gemeinsamkeit, Kreativität, Vertrauen, Kommunikation... Daß man an diesen Ansprüchen immer wieder scheitern kann, muß wohl so sein.

„Die meisten Leute sind verwirrt, was ihre Identität angeht, wie sie fühlen, besonders über Liebe. Sie sind verwirrt, weil sie kein Sprachrohr haben, sie haben nich viele Lieder, die für oder über sie geschrieben wurden. Auf der einen Seite gibt's ,1 Love You The Sky's Blue' oder totale Verzweiflung. Dazwischen fehlt alles. Dabei ist es nie so fein säuberlich geschieden. Es gibt so viel Verlogenheit in der Pop-Musik heute — womöglich aus ehrlichem Anliegen — dieser ganze strahlende-Augen-Kram (starry eyed stuff). Ich glaube, daß ich die Rolle erfülle, Lieder zu schreiben, die nicht immer mit strahlenden Augen daherkommen."

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Spex, September 1982


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