Innsbruck – Ja was jetzt? Der Titel von Elvis Costellos neuem Album, dem ersten echten seit gut einem Jahrzehnt, lädt zum Hinschauen ein: „Look Now“. Und jener Song, dem er den Titel entlehnt hat, behauptet auf anrührend geheimniskrämerische Weise das Gegenteil: „Don’t Look Now“. Hinschauen oder nicht? Letztlich ist es ziemlich egal, denn ein Costello-Album ist zunächst einmal eine Einladung zum Hinhören.
Wie kaum ein Zweiter versteht es der inzwischen 64-Jährige, die Bandbreite dessen, was gemeinhin als Pop zusammengefasst wird, auszuloten: Er begann als Post-Punk-New-Wave-Spitzbub, kooperierte mit Bluegrass-Größen, der Hip-Hop-Band The Roots, legte ein an klassischer Liedkunst geschultes Balladen-Album vor, schmetterte Schmonzetten, arrangierte Americana und verlor sich als „King of America“ in den staubigen Weiten des Mittleren Westens zwischen Country und Rockabilly. Bereits vor mehr als 20 Jahren schloss sich Gestaltwandler Costello mit dem Großkomponisten des Easy-Listening, Burt Bacharach, zusammen – und legte die zeitlos schöne Platte „Painted from Memory“ vor.
Und – Achtung, Wortspiel – Bacharach, mittlerweile 90 Jahre alt, schaut auch bei „Look Now“ vorbei. Was man natürlich hört – in den aller Erdenschwere beraubten Pianozwischenspielen von „Don’t Look Now“ und „Photographs Can Lie“, in dem es, man möcht’s kaum glauben, nicht um „alternative Fakten“ des trumpelnden Zeitalters geht, sondern um Wahrheiten, die sich eben nicht faken lassen. Außerdem schwingt sich das erneute Gipfeltreffen zweier Songwriter sondergleichen zum sensationellsten Tempowechsel der jüngeren Pop-Historie auf. Allerdings so beiläufig, dass einem, so man ihn überhaupt bemerkt, der Schrecken in alle Glieder fährt.
Dass es Elvis Costello nach wie vor auch breitbrüstiger mag, stellt indessen „Burnt Sugar Is So Bitter“ klar. Gemeinsam mit Carole King („You’ve Got a Friend“) zieht er alle Register: Costellos ultrapräzise Begleitband The Imposters wird mit mächtigen Bläser-Arrangements aufgefettet – und ein grooviger Background-Chor beamt den Song vollends zurück in die Siebzigerjahre.
Bläser veredeln auch den Album-Opener „Under Lime“, dort allerdings klingen sie eher wie ein verspieltes Echo der „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“.
Insgesamt wartet Elvis Costello auf „Look Now“ mit zwölf neuen Songs auf, jeder hat das Potenzial zum Ohrwurm – und sträubt sich doch ganz selbstbewusst gegen die eigene Eingängigkeit.
Kurzum: Wenige Monate nachdem Elvis Costello seine Krebserkrankung öffentlich machte – und große Teile seiner Europatournee, darunter auch zwei Auftritte in Österreich, absagen musste –, zeigt er sich erneut auf der Höhe seiner Kunst.
Inzwischen, heißt es, befindet er sich auf dem Weg der Besserung. Dass die ganze Sache ziemlich knapp war, hat Costello kürzlich selbst bestätigt. Nun könnte man Krankheit und die Aussicht auf Genesung als Interpretationsschlüssel für „Look Now“ hernehmen – schließlich zelebriert Elvis Costello darauf tatsächlich ein Hochamt auf alle Facetten der Vitalität. Gerecht wird man dem Album damit freilich nicht.
Im Gegenteil: Man würde die feinziselierten Kompositionen, die vielschichtigen Texte und Costellos Bereitschaft zum bisweilen stimmbandzerlegenden Tremolo rücksichtslos banalisieren. Insofern ist „Look Now“, was der Titel fordert: nicht nur eine Einladung zum Hinhören, sondern auch die Aufforderung, genau hinzuschauen.
Pop Elvis Costello: Look Now. Concord (Universal).
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