Vienna Standard, April 23, 2006

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My Flame Burns Blue

Elvis Costello

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   Der Standard

Auf seinem neuen Live-Album führt Tausendsassa Elvis Costello mit einem Jazz-Orchester durchs "Clubland"

Stell dir vor, du gehst eine Straße mit Nachtclubs entlang, aus denen verschiedene Musik kommt. Mit dieser Spielanleitung schickte Elvis Costello vor Jahren den Gitarristen Marc Ribot bei einer Einspielung für das Cover-Album Kojak Variety auf eine musikalische Reise. Genau so – ein Orchester samt Streichern und Bläsern geht im Swing-Fieber auf, bevor eine knarzende E-Gitarre mit Blueslicks dazwischenfährt – hört sich jetzt der Opener von Costellos Live-Album My Flame Burns Blue an: Die Charles-Mingus-Komposition "Hora Decubitus" mit einem Text aus der Feder Costellos lässt gleich zu Beginn die weitläufige Route ahnen, die hier zusammen mit niederländischen Metropole Orkest, dem einzigen Full-Time-Jazz-Orchester mit Streichern genommen wird.

Den Kniff, das Finale an den Beginn zu stellen, hat sich Costello von einem seiner Lieblings-Live-Alben, Rock Of Ages von The Band abgeschaut, das einst mit der Zugabe eröffnete. Dass es Costello bei seinen Konzerten nach wir vor ordentlich krachen lassen kann, stellten die jüngsten Tourneen mit den Imposters und die Konzert-DVD Live In Memphis unter Beweis. Nicht umsonst hat Costello vor nunmehr 30 Jahren als zorniger junger Mann im britischen Punk- und New-Wave-Umfeld debütiert. Für My Flame Burns Blue, sein erstes offizielles Live-Album, aufgenommen bei Konzerten im Juli 2004 beim North Sea Jazz Festival in Den Haag, hat Costello hingegen die Gitarre zu Hause gelassen, um dafür verstärkt seine Qualitäten als Balladen-Crooner auszuspielen.

Gleichzeitig bietet My Flame Burns Blue eine faszinierende musikalische Quersumme. Die Orchester-Arrangements von bekannten aber auch bisher unveröffentlichten Costello-Songs entstanden über einen Zeitraum von gut zehn Jahren und stammen von Vince Mendoza, Sy Johnson, Mike Mossman, Bill Frisell sowie Costello und seinem langjährigen Begleiter an den Tasteninstrumenten, Steve Nieve. Mendoza, der bereits durch eine ähnliche Zusammenarbeit mit Joni Mitchell (Travelogue) aufhorchen ließ, hat die Arrangements für das Metropole Orkest adaptiert und auch die musikalische Leitung übernommen. Wer bei dem Gespann Costello/Deutscher Grammophon/Orchester Schlimmes befürchtet, darf durchatmen. Der Tausendsassa, der sich mittlerweile in fast allen musikalischen Genres versucht hat, zeigt sich voll und ganz in seinem Element, die Orchesterfassungen kommen unvermutet leicht und völlig unprätentiös daher.

Immerhin ist Costello mit solchen Arrangements aufgewachsen: Sein Vater, der Trompeter Ross MacManus, verdiente sich seine Brötchen als Bandleader. Und auch Costello selbst zeigte sich bereits 1981 zumindest auf der Cover-Rückseite von Trust mit einer Big Band. Der Opener dieses Albums, "Clubland", ist eines Highlights und Kristallisationspunkt von My Flame Burns Blue. Sy Johnson nahm das Original-Arrangement von Costello und den Attractions zum Ausgang für eine mitreißende musikalische Tour de Force, die nicht nur die bereits im Original angelegten Latin-Elemente im Big-Band-Format ausführt, sondern auch noch Swing- und Walzerteile einführt.

Ähnlich auch die Orchestersfassung von Costellos sarkastischem Klassiker "Watching The Detectives" über eine Fernsehsüchtige mit Fixierung auf Krimi-Serien: Die an Sixties-Filmmusiken erinnernden musikalischen Motive – in der ursprünglichen Version des Debüt-Albums My Aim Is True mit Costellos scheppernder E-Gitarre und Steve Nieves schundiger Orgel schon angedeutet – werden hier üppig mit Streichern und Bläsern ausgeführt. Wobei Costello die Neufassungen keineswegs als definitive Versionen, sondern nur als weitere Neudeutungen verstanden wissen will.

Auf eine markante Titelmelodie, nämlich jene der hierzulande als „Mit Schirm, Charme und Melone“ bekannten "The Avengers", verweist auch das Bläser-Intro der Ballade "Favourite Hour". Im neuen Gewand läst der finale Songs des unterschätzten 1994-er Albums Brutal Youth zur (Wieder-)Entdeckung ein.

Für Costello, stimmlich in Höchstform, bot der Auftritt mit dem Big-Band-Orchester vor allem auch eine gute Gelegenheit, seine Balladen zu präsentieren. Und an passendem Material herrscht im Euvre des in Liverpool geborenen, heute in Dublin lebenden Musikers kein Mangel: von dem gemeinsam mit Burt Bacharach komponierten "God Give Me Strength" über bisher Unveröffentlichtes wie "Put Away Forbidden Playthings" bis zum Titelsong My Flame Burns Blue, hinter dem sich Billy Strayhorns Komposition "Blood Count" verbirgt, für die Costello einen Text geschrieben und ein Vince Mendoza ein wunderbar faul-laszives Arrangement geschneidert hat.

Nicht fehlen darf "Almost Blue", das Costello einst unter dem Einfluss von Chet Bakers Aufnahme von "The Thrill Is Gone" geschrieben hat und das längst selbst zum Klassiker geworden ist. Mit Cello-Intro, Streicher-, Melodika- und Klavier-Einsprengseln und einem an Baker gemahnenden Trompeten-Solo fügt Costello den unzähligen Cover-Versionen eine seiner schönsten eigenen hinzu.

Der Humor kommt beim Großeinsatz der Streicher und Bläser dennoch nicht zu kurz: Für "Episode Of Blonde" etwa pendelt das Orchester zwischen Nachtclub und orientalischem Basar, Costello gibt den Marktschreier. Und auch New Orleans wird Reverenz erwiesen, mit einer wunderbar swingenden Version von Dave Bartholomews "That's How You Got Killed Before". Mit der Dirty Dozen Brass Band und Bartholomew hat Costello den Song zuletzt auch bei Benefiz-Konzerten für Opfer der Hurrikan-Katrina-Katastrophe aufgeführt.

Damit verweist der Song auf Costellos jüngstes Projekt mit einer weiteren New-Orleans-Legende: Zwischen Auftritten in Konzertsälen in den USA mit den Orchesterversionen von My Flame Burns Blue präsentiert Costello das zusammen mit dem Pianisten, Komponisten und Arrangeur Allen Toussaint aufgenommene Album The River In Reverse, ein wunderbares, mit R&B und Soul vibrierendes Tribute an den Big Easy, das noch vor dem Sommer auch bei uns erscheinen soll.

Ein definitives Live-Dokument in Sachen Costello kann es vor diesem Hintergrund gar nicht geben. Vielmehr wirft My Flame Burns Blue ein Schlaglicht auf eine weitere Seite einer der schillerndsten Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit, die gewillt ist, sich auch auf der Bühne ständig neu zu erfinden. Und das macht auch beim (Nach-)Hören verdammt viel Spaß. (glicka)

Ein Exklusiv-Interview mit Elvis Costello erscheint in der April-Ausgabe (2/06) des österreichischen Musikmagazins Concerto.


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Der Standard, April 23, 2006


Der Standard reviews My Flame Burns Blue.

Images

My Flame Burns Blue album cover.jpg

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