Berliner Zeitung, November 16, 1998

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Zum gemeinsamen Album von Elvis Costello und Burt Bacharach "Painted from Memory": Kratzer am Lack der Stretch-Limousine


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   Robert Rotifer

Als Elvis Costello letztes Jahr der englischen Obdachlosenzeitschrift "The Big Issue" ein Exklusiv-Interview gab, hatte er gerade den Vertrag mit seiner früheren Plattenfirma gelöst. Costello erzählte dem Reporter, ein hohes Tier der Musikindustrie habe ihm angeraten, die Akkordfolgen seiner Songs von all den "schwierigen Sexten und Septimen" zu reinigen, um wieder ein größeres Publikum zu erreichen. Das reine Banausentum einer solchen Belehrung traf Costello vermutlich nicht so sehr wie der in ihr enthaltene Vorwurf der Abgehobenheit. Ihm, dem Autor von "Allison", "Oliver s Army" und "Everyday I Write The Book" wurde da erklärt, er wisse nicht mehr, wie man populäre Songs macht. Ihm, der zwanzig Jahre mit der Mission verbracht hatte, aller Welt zu beweisen, daß Popmusik nichts Doofes sein muß, sagte man, er denke zuviel. Wenig später tat sich der ewig Spröde ausgerechnet mit Burt Bacharach zusammen, als wollte er beweisen, daß er sich auch mit dem größten Populisten des Schlagerfachs musikalisch verstehe. Schließlich sind Bacharachs Hits wie "Anyone Who Had A Heart", "The Look of Love", "Alfie" oder "Walk On By" nur deshalb in Erinnerung geblieben, weil sie insgeheim die simplizistischen Dogmen des Pop ignorieren, indem sie das Komplizierte so unendlich einfach erscheinen lassen. Bacharachs Arrangements sind voll von "schwierigen" Akkorden, asymmetrischen Takten und waren schon vor dreißig Jahren unter seinen Session-Musikern berüchtigt. Sein obsessiver Perfektionismus soll sogar den pingeligen Costello im Studio einige Male zum Rasen gebracht haben. Die beiden hatten schon 1993 für den Film "Grace of my Heart" den Song "God Give Me Strength" verfaßt, der auch auf ihrem neuen Album wieder auftaucht. Aber während jenes erste gemeinsame Unternehmen nur durch eilig verschickte Demobänder zustande kam, verbrachten sie diesmal einen ganzen Sommer zusammen in einem kalifornischen Studio. Die Fotos auf dem Plattencover zeigen ein ungleiches Paar. Neben dem in die Breite gegangenen Costello, der seinen schwindenden Haaransatz unter einem Strohhut versteckt, wirkt der schlohweiß beschopfte, siebzigjährige Prophet des Easy Listening geradezu unwirklich elegant. Die neu gewonnenen Verehrer von der Loungecore-Fraktion werden mit "Painted From Memory" (Mercury Records) allerdings wenig anzufangen wissen. Die manchmal allzu glitschige Produktion erinnert daran, daß Bacharach die Achtziger damit verbrachte, Süßstoff der Marke "Thats What Friends Are For" abzusondern. Costello wiederum war immer schon genausosehr Fan wie Musiker und als solcher stets auf der Suche nach dem feuchtaugigen Star-Treff, wie die Zusammenarbeiten mit Chet Baker, Paul McCartney, Roger McGuinn und anderen bezeugt. Sein Respekt vor Bacharachs Verdiensten hinderte ihn offenbar daran, etwa durch sein nervöses Gitarrespiel den kunstvollen Zuckerguß des alten Meisters zu beschädigen. Dennoch ist es am Ende eine technische Unzulänglichkeit des bemühten Schülers Costello, die die Produktion davor bewahrt, ins Geschmäcklertum abzugleiten. Mit ihren ausladenden Melodiebögen waren Bacharachs beste Songs stets schillernde Auslagenstücke für die Stimmkraft seiner Interpreten von Dionne Warwick über Aretha Franklin und Tom Jones bis zu Dusty Springfield. Elvis Costellos quengeliges Organ hat sich dagegen in den letzten Jahren zum gequälten Jaulen gewandelt. Zwischen Streichern, Harfen und Trompeten heult, fleht und japst er atemlos nach Tönen, die er eigentlich nicht erreichen kann. Seine Stimme kratzt dabei am Lack der surrenden Stretch-Limousine Bacharachs und entblößt die zerbrechlichen Bestandteile hinter dem routinierten Handwerk. In Costellos Texten scheint es ausschließlich um gescheiterte Beziehungen zu gehen. Bacharachs strenge Vorschrift, sich in seinen Versen exakt an die metrischen Vorgaben der Melodien zu halten, war selbst für den routinierten Sprachspieler eine Herausforderung mit schwankenden Ergebnissen. Songs wie "In The Darkest Place", "Toledo" oder "The Sweetest Punch" sind in ihrer bewußt hemmungslosen Sentimentalität stimmig und glaubwürdig, aber andere wie "Such Unlikely Lovers" oder "The Long Division" klingen seltsam unerlebt. Auf der Suche nach Trennungsszenarien greift der seit Jahren glücklich verheiratete Costello oft auf Klischees zurück: "Du weißt, wie grausam Kinder sein können", singt er in "Tears At The Birthday Party", nur um im Refrain sein ganzes Pathos in die Zeile "Und jetzt teilst du deine Torte mit ihm" zu legen. In der Titelnummer "Painted From Memory", dem herausragenden Song des Albums, erklärt Costello das Problem dieser distanzierten Liebesgeschichten und damit gleichzeitig das Problem der Platte selbst: "Sie läßt sich nicht leicht aus dem Gedächtnis malen."


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Berliner Zeitung, November 16, 1998


Robert Rotifer reviews Painted From Memory.


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