BERLIN – 35 Jahre umspannt die Karriere, die er an diesem Abend Revue passieren lässt: Elvis Costello begeisterte solo im Tempodrom.
Auch der große böse Wolf war an diesem Abend zugegen, zumindest im musikalischen Geiste: Auf dem Cover der aktuellen Elvis-Costello-LP „National Ransom“ sieht man ihn als zeitgemäß ins Gewand eines Wall-Street-Bankers gekleideten, gierig sabbernden Comic-Wolf; in dem dazugehörigen Titelstück wettert Costello mit herrlich heiserer Punk-Stimme gegen die Profiteure der kapitalistischen Krise und das „nationale Erpressungsgeld“, das sie täglich von uns allen kassieren. Muss man zur aktuellen Lage der Welt mehr sagen oder singen? Steht auf! Wappnet Euch gegen die Wölfe und kämpft!, bellt Elvis Costello in der dritten Zugabe seines tollen Konzerts im Tempodrom. Das Publikum himmelt ihn dabei ergriffen von seinen Sitzplätzen an.
35 Jahre umspannt die Karriere, die an diesem Abend Revue passiert, aus jeder Werkphase ist ein Costello vertreten: der zornige Costello, der sanfte Costello, der ruppige Ska-Punk-Costello der Siebzigerjahre und der schmachtende Schnulzen-Costello der Neunziger. Eine ganze Elvis-Costello-Familie! Und dabei handelt es sich um ein Solokonzert: „Ich habe heute“, erläutert er zwischendurch das Konzept, „einen ganz besonderen Überraschungsgast mitgebracht: mich!“
Virtuose Darbietung
Außerdem hat Elvis Costello fünf Gitarren und drei Tastengeräte dabei, an denen er dunkle Klavierballaden wie „Shipbuilding“ ebenso virtuos zur Darbietung bringt wie den grellen Liebesleidkrach von „I Want You“. Zu „Radio Sweetheart“ intoniert er seinen eigenen Showgirl-Chor; „Watching the Detectives“, den allerersten von ihm aufgenommenen Song, spielt er mit sich im Gitarrenduett: Über ein gelooptes Grundriff legt er lässig verzerrte Soli – eine Technik, die man bei jedem zweiten jungen Indierock-Gitarristen findet, die aber bei Costello so frisch und ungestüm wirkt, als habe er sie gerade erfunden.
Und so ist es durchweg: Geschichte und Gegenwart seiner Musik verflicht er in zweieinhalb atemberaubenden Stunden; atemberaubend nicht zuletzt wegen der Wandlungsfähigkeit seines nur scheinbar so schlichten Baritons. Sagenhaft, wie zart und doch immer den geliebten Rest Rotzigkeit bewahrend er sich durch die Epochen und Stile, durch künstlerische Haltungen und Gefühlslagen singt, um in der letzten Zugabe das weite, nun mucksmäuschenstille Publikumsrund mikrofonlos mit dem alten Nick-Lowe-Lied zu beglücken: „What’s so funny ’bout peace, love and understanding?“ Mehr muss man zur aktuellen Lage der Welt nun wirklich nicht sagen oder singen.
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