Angesichts des überwältigenden, herzerwärmenden und allesumarmenden Jubels, den Elvis Costello am Sonnabend in der Universität der Künste entfacht hat, bei einem geradezu verehrungswütigen, den Künstler mit minutenlangen Standing Ovations immer wieder kompromisslos auf die Bühne zurückapplaudierenden Publikum; angesichts dieses wunderbaren, die Zuhörer erst nach drei wie im Fluge vergehenden Stunden glücklich und erschöpft entlassenden Konzerts, an dessen Ende Elvis Costello mit seinen Freunden im Chor sang wie mit einer großen Familie; angesichts dieses durch und durch menschenfreundlichen und alles und jeden umarmenden Auftritts sollte man einmal, ein letztes Mal, bevor es bei den jungen Menschen, die Elvis Costello vielleicht nur noch von Abenden wie diesen kennen, ganz in Vergessenheit gerät, noch einmal auf folgenden Umstand hinweisen:
Als junger Mann, am Anfang seiner Karriere, Mitte der siebziger Jahre, war Elvis Costello einmal der entschiedenste und überzeugendste Misanthrop, den es im Popgewerbe gab; ein Feind aller Menschen und insbesondere der Frauen; ein polternder Pub- und Punkrocker, der mit seinem ewig gleich-nichtgesungenen Cockneygenäsel von der Welt nur als von einem zu verlassenden Jammertal kündete und von Liebesbeziehungen ausschließlich in der Metaphorik faschistischer Kriegsführung sang.
Das war vor Jahren. Jetzt ist Elvis Costello fast fünfzig Jahre alt, frisch verliebt und ein Künstler; als wichtigste Inspiration für sein neues Album "North" hat er den Komponisten Franz Schubert benannt. Das Erstaunliche daran ist nun: Es stört einen nicht weiter; weder auf der Platte noch während des dazugehörigen Konzerts. Seit seiner Wendung zur großen Kunst, irgendwann Anfang der neunziger Jahre, hat Elvis Costello zwar einen ganzen Haufen prätentiösen Quarks abgeliefert, man denke an seine Shakespeare-Vertonung mit dem Brodsky-Quartett. "North" aber ist eine wunderbare, trotz des unverkennbaren Kunstwollens ganz mühelos und leicht wirkende Platte geworden; mit Melodien, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen - und mit einem Gesang, der so wagemutig und schön ist, so pop-haft unverbildet und doch so kühn sich in höchste Baritonhöhen schraubend, wie man es von Costello selbst auf seiner bisher am schönsten gesungenen Platte "Painted From Memory" nur selten gehört hat. Dass auch das Konzert am Sonnabend nun nicht nur ein gutes, sondern ein so außergewöhnliches, beseelendes Ereignis war - das lag vor allem an der heiteren, ganz selbstverständlichen Weise, mit der Costello seine Gegenwart mit der Vergangenheit verband.
Zwar war der Abend als Liederabend gestaltet, mit Costello am Mikrofon, manchmal an der Gitarre, nur von seinem alten Attractions-Gefährten Steve Nieve am Piano begleitet. Was beide aus diesem minimalistischen Setup erschufen, war gleichwohl nicht weniger als eine theatralische Tour durch das gesamte gemeinsame uvre: vom ungebärdigen Punkrock, den Costello mit zornigen Gesten an der Gitarre sekundenkurz aufleuchten ließ, bis zum wohldurchgearbeiteten Kunstgesang, den er mit großer Geste, manchmal auch vom Mikrofon wegtretend und nur mit seiner Stimme den ganzen Saal beschallend, vortrug; von den schönsten Kompositionen, die er mit Burt Bacharach geschrieben hat, bis zu einer wirklich atemberaubenden Version seines 86er-Hits "I Want You". Vom Weltekel zur Liebe und wieder zurück zu dem Gefühl, dass nicht, was ist, von Dauer sein muss - es fügte sich alles zusammen, ganz ohne Zwang. Man hatte das Gefühl, dass hier jemand, mit großer Ruhe und doch ohne Bedauern, mit denkender Distanz und doch voller Leidenschaft auf all die scheinbar so disparaten Dinge zurückblickt, die er im Lauf seines musikalischen Lebens komponiert und gesungen hat; und dass er sich freut: weil er in allem, was er getan hat, den roten Faden erkennt; die leitende Linie, die dorthin führt, wo er nun steht, und darüber hinaus. "Alles, was ich getan habe, hatte einen Sinn": das, denkt man sich, darf sich Elvis Costello an einem Abend wie diesem denken, während er bis zum nächsten Elvis- Costello-Konzert wieder aus dem eigenen Leben verschwindet. Es ist sicher ein sehr schönes Gefühl. POP-EYE Er mag Schubert, aber das stört uns nicht: Elvis Costello in Berlin.
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