Elvis Costello trägt Anzug, Krawatte und komische blaue Krokoleder-Halbschuhe. Er lümmelt auf dem Hotelsofa wie ein Bauarbeiter nach der Schicht. Oder
wie der Punk-Rocker, der er in den siebziger Jahren war. Seine neue Platte ist wieder eine gegensätzlich geratene Sammlung von dezenten Balladen.
Eingespielt mit Streichern, Hörnern und Flügel. Costello singt dazu den Bildungsbürger-Blues über altes Leid und neue Liebe. Es klingt nach Gershwin, Schubert und Sinatra. Mit dem 48-jährigen Briten sprach Josef Engels.
DIE WELT: Meinen Sie, man muss ein gewisses Alter haben, um Musik mit Anspruch zu mögen?
Elvis Costello: Es gibt viele Arten von Musik, die einen als Kind ungeduldig werden lassen. Musik, die aus komplizierteren Formen besteht wie Jazz oder
klassische Musik. Als ich klein war, wurden mir Chopin, Grieg, Mozart oder die Brandenburgischen Konzerte vorgespielt. Das war nachvollziehbar wegen
der Melodien. Es lief auch viel Frank Sinatra, Peggy Lee oder Mel Tormé im Haus. Man entfernt sich von dieser Musik, wenn man älter wird. Du triffst deine
eigenen Entscheidungen und kaufst deine eigenen Platten. Aber irgendwann entsinnt man sich wieder der alten Dinge. Was ich sagen will, ist, dass die Musik auf meiner neuen Platte nicht völlig unvorbereitet kommt.
DIE WELT: Können junge Leute diese Musik verstehen?
Costello: Warum nicht? Sie mag sich denen verschließen, die denken, dass authentische Gefühle nur geschrien ausgedrückt werden können. Die anders
strukturierten Formen meiner Musik würden sie nicht verstehen. Es gibt da keine Gitarren, keinen Backbeat, an dem man sich festhalten kann. Als ich ein Teenager war, habe ich mich mit Musik, die mir eigenartig erschien, auseinandergesetzt. Etwa Joni Mitchells erste Platte, wo sie nur in klarem Sopran singt. Sehr verstörend. Auch ihre Texte über den Verlust von Idealen. Ich fand das trotzdem faszinierend. Man soll nicht denken, dass junge Menschen unfähig sind, Musik zu verstehen, die anders ist als das, was die Industrie ihnen mit viel Lärm andrehen will. Ich wäre jedoch nicht überrascht, wenn sie meine Musik trotzdem nicht begriffen.
DIE WELT: Droht die Jugend derzeit, musikalisch zu verrohen?
Costello: Ach was. Ich finde keine der zurzeit angesagten Bands besonders einschüchternd. Bestimmt nicht so einschüchternd wie sie gerne sein möchten.
Ich finde das alles ziemlich ängstlich, vorhersehbar und memmenhaft. Die modernen Punkbands sind doch nur Kopien. Ich will damit nicht sagen, dass heute nichts von Wert passiert. Ich glaube nur nicht, dass es von diesen Gruppen kommt. Die müssen noch härter werden.
DIE WELT: Sagen Sie doch mal: Was kann die Jugend von Ihnen lernen?
Costello: Ich weiß doch nichts. Die können nix von mir lernen.
DIE WELT: Doch: Wie man sich aus einem zornigen jungen Mann in einen Klassiker verwandelt.
Costello: Meine Musik fing weit weniger wütend an, als immer geglaubt wird. Es war sehr viel Verwirrung und Zweifel in dieser Musik, vorgetragen mit großer
Überzeugung, die das Ganze entsprechend erzürnt erscheinen ließ. Ich habe in späteren Jahren weit bösere Songs geschrieben. Sie sorgten nur nicht für so
viel Überraschung, weil man sich daran inzwischen gewöhnt hatte.
DIE WELT: Die neue Platte heißt "North" und ist oft recht traurig.
Costello: Norden heißt eigentlich: nach oben. Es ist ein optimistischer Titel. Ein Paradoxon, weil der Norden normalerweise mit Kälte in Verbindung gebracht
wird. Glauben Sie mir: Es gab ernsthafte Diskussion darüber mit der Plattenfirma.
DIE WELT: Es ist schon eher eine Herbstplatte.
Costello: Das stimmt.
DIE WELT: Haben Sie das Gefühl, im Herbst Ihres Lebens zu sein?
Costello: Ich hoffe nicht. Ich werde 49, das ist doch noch relativ jung. Ich glaube, es gibt noch genügend Wechsel und Überraschungen in meinem Leben. Es ist doch so: Wenn man nur die Platten kennt, die in den letzten Jahren herausgekommen sind, weiß man nicht viel von Musik. Ich zum Beispiel höre sehr viele
deutsche Kunstlieder, obwohl ich die Sprache nicht beherrsche. Da geht es oft um die Natur und die Jahreszeiten als Abbild des menschlichen Seins. Ich
habe auch schon vorher Stücke geschrieben, die sich stark auf Schubert beziehen. Nicht, dass ich Schubert zu imitieren versuchte ...
DIE WELT: Wann wurde das alles geschrieben? Bevor öffentlich wurde, dass Sie sich von Ihrer Frau getrennt und mit dem Jazz-Starlet Diana Krall verlobt
haben?
Costello: Es ist gefährlich, diese Platte in einen chronologischen Zusammenhang mit meinem Leben bringen zu wollen.
DIE WELT: Trotzdem - schmerzhafte Trennung und neues Liebesglück sind als Themen offensichtlich.
Costello: Das Leben ist komplizierter, als es die besten elf Songs jemals kundtun könnten. Ich erzähle dir nicht alles über mein Leben, sondern habe nur
Lieder geschrieben, die teilweise auf meine Erfahrungen basieren. Es sind immer noch Songs, keine Polaroids. Die realen Erlebnisse sind oft nicht
erfreulich, daraus ließe sich wenig Unterhaltsames machen.
DIE WELT: Ist wenigstens Ihre Brille echt?
Costello: Ich muss eine Brille tragen, seit ich 18 bin. Dass ich die nur zum Spaß aufhabe, ist auch so eine Legende. Sehschwäche liegt bei mir in der
Familie. Da tragen alle Brille.
Elvis Costello: North (Deutsche Grammophon/Universal)
Termine: heute Offenbach,
22. Hamburg,
23. Köln,
25. Berlin
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