Die Weltwoche, September 17, 2003

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Die Weltwoche

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Pop

Der König schmollt

Den Pop-Olymp könnte Elvis Costello mit links beherrschen. Doch dafür ist er sich zu schade. Besuch beim genialen Sonderling.

Albert Kuhn

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Ein Interview mit einem verliebten Musiker zu führen, ist kein Schleck. Sein neues Produkt ist ganz in Weiss, jeder Ton und jede Silbe spricht von «amour» und «toujours» – aber wenn man dann nachfragt, will er’s doch nicht gewesen sein.

Schon gar nicht, wenn es sich um Mister Elvis Costello handelt. Einerseits der Sänger, dessen sarkastische Songs zwar nicht so hart, dafür aber schärfer und bitterer waren als Punk, der Seite an Seite mit Punkbands gegen das Musikbusiness und – wieso nicht gleich? – die ganze Welt anrannte. Der aber unter all seinen New-Wave-Kollegen (Ian Dury, Wreckless Eric) derjenige war, der seinen Erfolg schon damals am besten managte.

Fünfundzwanzig Jahre danach empfängt er Interviewer in einer Hotelsuite in Dublin, ganz der Gastgeber, ganz der Gentleman in schwarzem Anzug, schwarzem Hemd, mit dunkelweinroter Brokatkrawatte, auffälligen Manchettenknöpfen und spitzen Prada-Schuhen. Er macht eine ausladende Hausbesitzerbewegung, mit der er auf den Stuhl zeigt, auf dem der Interviewer zu sitzen hat.

König Costello hält hier Hof und wird nicht über die Vergangenheit, nicht über frühere Ansichten, nicht über alte Weggefährten, nicht über seine Meinung zu diesem und jenem Auskunft geben, sondern einzig und allein über sein neues Album «North» reden, das etwas vom Herbstlichsten, Besinnlichsten und Privatesten ist, was dieser widersprüchliche Künstler je aufgenommen hat.

Vertiefte Weltverachtung

Aber da Costello, ebenfalls angekündigterweise, nicht über sein Privatleben und dessen Niederschlag in seinen Songs reden will, macht sich der Interviewer grösste Sorgen, was es da überhaupt noch zu reden geben soll. Und strebt durch Dublins Strassen dem Interview zu, Strassenschilder sortierend, auf denen «Sraid an Phrionsa Thuaidh» steht. Ob das wohl die Prince’s Street North ist?

Geboren wurde Elvis Costello 1955 als Declan Patrick MacManus. Sein Vater war Tanzmusiker in einer Dance Hall Cover Band, genannt The Joe Loss Orchestra, das Hans-im-Pech-Orchester. Der Junior wuchs in London auf, und als sich die Eltern trennten, zog er mit Mama nach Liverpool, da war er 16. Zu dieser Zeit wohl begann er seine legendäre Verachtung gegenüber allem und jedem zu entwickeln. Bloss die Musik liess er aus, die war perfekt als Transportmittel des grossen Degouts zu verwenden. Anfang der siebziger Jahre begann er Songs zu schreiben. Traf 1972 auf Nick Lowe und Brinsley Schwartz, was heisst: Er rutschte in die Pubrock-Szene hinein, welche als Nährboden des Punk gilt. Arbeitete in langweilenden Computerjobs, heiratete, spielte Songs auf Bänder, sandte die an Plattenfirmen und hatte die Tapes wenig später wieder im eigenen Briefkasten, wieder und wieder. Kurz: Die Umstände waren perfekt dafür geeignet, an der Weltverachtung festzuhalten, an ihr zu arbeiten, sie zu vertiefen und in weitere Songs zu giessen.

Die Wurzel allen Unglücks

Elvis Costello hätte ein exzellenter Punk werden können. Aber erstens war er nicht der Typ und schon etwas zu alt für eine Bewegung, in der alle auf dieselbe Art nicht normal aussehen wollten. Und vor allem hielt er, als der Punk 1976 ausbrach, schon zu grosse Stücke auf sein Songwriting, als dass er dieses dem Ausbruch von jakobinischer Vehemenz eingliedern wollte, der ja auch voraussehbar verpuffen musste. Costello sah mehr Sprengkraft in seiner Rolle als der Welt schlechtestgelaunter Angestellter, der das Wort «Boss» nicht einmal in den Mund nimmt, sondern einfach weiss, dass er es allen zeigen wird. Und dass er der Grösste ist und deshalb Elvis Costello heissen sollte.

Seine Alben waren auf Anhieb erfolgreich. Das zweite, «This Year’s Model», hätte ursprünglich «The King of Belgium» oder «Little Hitler» heissen sollen, ein kleiner Einblick in die Gedankenwelt von Elvis Costello 1982 – ein Ego wie ein Parkhaus. Allerdings auch einer, der intelligent und smart genug war, taktisch zurückzustecken. Dies ist an der Namensgebung von zwei weiteren Alben abzulesen: «Armed Forces» (1983) hätte erst «Emotional Fascism» heissen sollen. Und das erschreckend grossartige «Imperial Bedroom» (1981/82) sollte ursprünglich «Revolution Of The Mind» heissen oder «Music To Stop Clocks» – Musik, die die Uhren am Ticken hindert.

So ungefähr klang «Imperial Bedroom» tatsächlich. Es war Costellos ambitionierteste Produktion für lange Zeit und das Schlüsselwerk, was die perfekte Umsetzung seiner Weltverachtung anging. Als Produzenten bot er Geoff Emereck auf, den Mann hinter dem Beatles-Werk «Sergeant Pepper» und «Darkside Of The Moon» von Pink Floyd. Der orchestrierte sägende Synthesizer, gespenstisch verhallte Pianos, überwältigende Melodie-Kaskaden und ein Elvis Costello, dessen Stimme erbarmungslos Liebe als Propaganda, als Wurzel allen Unglücks, als Weltkrieg denunzierte. Der Schlüsselsong war wohl «Man Out Of Time», ein Feld von lyrischen Höhenflügen und Überanstrengungen um ein Ego, das ein Hirn wie ein Rasenmäher und ein Herz wie ein Kühlschrank besass.

Einerseits war «Man Out Of Time» ein Liebeslied, gipfelte in der aufwendig mit Effekten versehenen Zeile «to murder my love is a crime». Die Horrorfantasien waren Ausdruck von Costellos stockender Karriere und dem Eingeständnis, dass sein Erfolg denjenigen von Elvis Presley bei weitem nicht erreichen wird und dass Musikmachen auch «business as usual» ist. Aber diese Einsicht editiert als grandios verzweifeltes Meisterwerk.

Wie unendlich weit weg ist da «North». Elvis Costellos neues Album ist, gegen «Imperial Bedroom» gesetzt, ein Himmel voller Geigen, Pianos und Trompeten, lieblich noch dann, wenn Wolken aufziehen. Wir hören hier die Stimme eines im grossen Sinn Liebes- und Leidensfähigen, vernehmen die Worte eines Ausgeglichenen, dem Verluste zusetzen, ohne ihn bitter zu machen.

Die ersten Takte von «North» sind orchestral arrangiert und könnten zum leisen Beginn eines schwierigen Beziehungsfilms gehören, eine Frau würde da entlang einer Klippe laufen, der Himmel tief und bewölkt, der Wind vom Meer fährt durch Haare, Kopftuch und Mantel, die Szene aufgewühlt – Streicher bilden fragende Debussy-Gebilde, ein Bass verleiht ein Minimum an Boden, eine Harfe wird angeschlagen, und endlich legt sich auf einen schwermütigen Piano-Akkord eine Stimme wie die Hand eines Freundes auf die Schulter.

Songs aus dem Tourbus

Der erste Song, «You Left Me In The Dark», ist ein Abschiedslied. Seltsam sei es, singt Costello, wie manchmal die Elemente der eigenen Stimmung folgen. Die Augen verhangen, der Himmel grau, eine Liebe geht, und er sei froh, dass es heute noch regnen würde. Dies ist der Anfang und das Programm eines Albums, das eines der stillsten und gebrochensten Alben von Frank Sinatra sein könnte, wäre es nicht von diesem englischen Ex-New-Wave-Knilch.

Der scheint aufgeräumt und weiss wohl, dass er sich mit diesem Album einen grossen Gefallen getan hat. Es feiert nicht nur die Liebe in ihren emotionellen Schattierungen, sondern auch das Timbre des Sängers. Wie entstanden die neuen Songs, Elvis Costello? «Ich begann diese Songs im September 2002 zu schreiben, und es ging ziemlich schnell. Ich war auf US-Tournee, die Songs flogen mir zu, manchmal kam ich nach einem Konzert von der Bühne in die Garderobe und setzte mich in den Bühnenkleidern direkt ans Piano und komponierte.» Danach zurück ins Hotel, wo er manchmal bis zwei oder drei Uhr morgens schrieb. Auch im Tourbus hatte er ein Keyboard dabei. Sechs Songs waren komplett nach diesen vier Wochen Amerika – die Musik, die Texte aufgeschrieben, die Arrangements hatte er im Kopf. «Dann kam ich nach Irland zurück und schrieb vier weitere Stücke, und am Neujahrstag 2003 schrieb ich ‹When Green Eyes Turned Blue›. Das war’s, alles in vier Monaten.»

Wie er sein Album selbst beschreiben würde? «Es sind sehr komplexe Harmonien und Arrangements», meint Costello, «andererseits sind sie eingängig und verständlich. Darin sind Jazz, Folk und klassisch arrangierte Streicher – mehr kann und will ich nicht sagen. Es sind Songs, es sind Balladen im ursprünglichen Sinn des Wortes.»

Heirat mit Sängerin Diana Krall

Man hört New York heraus, ein New-York-Feeling. Manchmal hört man gar Lou Reed von weitem. Costello meint dazu abwehrend, das Album sei halt in New York aufgenommen worden. Und alle Lou-Reed-Songs hätten drei Akkorde pro Song – und gibt zu verstehen, dass die Lieder von «North» diesbezüglich mehr bieten.

Wann in Ihrem Leben lernten Sie Noten schreiben? «Das war vor etwa zehn Jahren mit dem Brodsky-Quartett. Davor kommunizierte ich immer mit Worten. Mit der Zeit frustrierte mich, dass ich mich nicht immer genug verständlich machen konnte. Auf ‹North› ist beinahe alles aufgeschrieben. Es hat sicher mit der Art von Musik zu tun.» Gibt es denn keinen inneren Konflikt zwischen dem Notenschreiben und dem lauten Ausprobieren von Ideen mit einer Band? «Das Band-Ding hatte ich lange genug. Und nur das eine zu tun, obwohl man sich auch andere Dinge vorstellen kann, ist das Gegenteil von Rock ’n’ Roll. Es ist die radikalere Idee, alles zu probieren.»

Elvis Costello könnte im Zenit stehen. Sein ungewöhnliches Pop-Album wird Aufsehen erregen, er wird 2004 ein Album mit Ballettmusik herausgeben, das er für ein achtzigköpfiges Orchester verfasst hat. Und vor allem: Er steht kurz vor seiner Heirat mit der Jazzpop-Sängerin Diana Krall. Ist er angekommen? Man muss enttäuschen. Einer wie Elvis Costello kommt bloss an, um einen Grund zu finden, wieder abzufahren. Es ist die radikalere Idee, alles auszuprobieren.

Elvis Costello:
North. Universal

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Die Weltwoche, September 17, 2003: Issue 2003/38


Albert Kuhn interviews EC regarding North.

Images

2003-09-17 Die Weltwoche cover.jpg
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