Die Zeit, January 16, 2011

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Die Zeit

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"Ich bin nicht wirklich ein Musiker"


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Ralph Geisenhanslüke

Elvis Costello lernte erst spät Notenlesen, vom Blatt spielen kann er immer noch nicht. Sein Wissen über Country, Rock und Jazz vererbt sich auf esoterische Weise.

"Kürzlich ist einer meiner Söhne mitten in der Nacht aus einem Albtraum aufgewacht. Er hatte von Spinnen geträumt. Während er davon erzählte, wurden die Spinnen zunächst golden, dann sprangen sie aus dem Fenster. Aber erst als seine Augen zu leuchten begannen, begriff ich, dass er nicht mehr in seinem Traum war, sondern bereits eine Geschichte daraus entwickelte. Er und sein Zwillingsbruder sind vier Jahre alt und einfallsreiche Erzähler. Als Kind denkt man, alles sei möglich. Alles ist potenziell wunderbar. Oder furchteinflößend.

Die meisten Menschen träumen als Kind, sie könnten fliegen. Und dann vergessen sie es. In der Schule zeichnen wir alle. Wenn wir die Schule verlassen, zeichnen wir nie wieder. Manche machen auch nie wieder Sport. Manche singen nie wieder. Sie tragen Lieder in sich und kommen nicht an sie heran. Wenn ich Gitarre oder Klavier spiele, kann ich mich im Klang des Instrumentes verlieren. So wie mein Sohn in seiner Geschichte. Mein vierjähriger Sohn tat instinktiv etwas grundlegend Menschliches: Er überwand seine Angst durch Spiel. So sind Märchen entstanden. Und Folksongs. Ich finde, diese Technik ist sehr hilfreich in unserer Welt, deren Grundstimmung und politische Leitwährung die Angst ist.

Als ich selbst ein kleiner Junge war, brachte mein Vater immer stapelweise Platten nach Hause. Er sang in einer Tanzkapelle und kaufte die Songs, die gerade in den Charts waren, um sie auswendig zu lernen. Bob Dylan, The Who, die frühen Pink Floyd. Musik, die für elektrische Gitarren gemacht war und nicht für ein 15-köpfiges Tanzorchester. Der Arrangeur der Band war sehr raffiniert, und mein Vater konnte alles singen.

Mit 13 begann ich, Songs zu schreiben. Ich habe keine Ahnung, warum. Ich hatte nie den Traum, Musiker zu sein. Ursprünglich wollte ich Pfarrer werden. Dann Lehrer. Aber ich wusste auch, dass ich ein Schreiber war. Das bin ich immer noch: ein Schreiber, der eine Gitarre festhält. Ich bin nicht wirklich ein Musiker. Ich kann nicht vom Blatt spielen. Ich kann ziemlich komplexe Orchestersätze schreiben, aber nicht gleichzeitig lesen und spielen. Ich begann erst mit 39 Jahren, Noten zu lesen. Für die Hand-Augen-Koordination war es da zu spät.

In der Tradition, aus der ich komme, im Rock ’n’ Roll, Country, oder Jazz, haben die Musiker enormes Wissen, das durch persönliche Beziehungen geformt wird. Es ist ein geheimes, beinahe esoterisches Wissen. Es wird nicht schriftlich weitergegeben. Sie haben unglaublich virtuose Fertigkeiten auf ihren Instrumenten. Was nicht bedeutet, dass sie einfach nur viele Noten spielen. Sie reagieren auf Stimmungen und haben auch keine Angst, einfach nur zwei Töne zu spielen und damit alles auszudrücken. Ich weiß nicht, ob meine Kinder davon träumen, einmal Musiker zu werden. Mein ältester Sohn hat mir schon Unmengen von Musik vorgespielt, die ich nicht kannte. Vielleicht werden sie von Dingen fasziniert sein, die ich überhaupt nicht begreife. Das ist nur natürlich. Ich sehe meine Verantwortung darin, sie zu beschützen, bis sie alt genug sind, das selbst zu entscheiden. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Die Zeit, January 16, 2011


Ralph Geisenhanslüke interviews Elvis Costello.





Elvis Costello


56, geboren als Declan Patrick MacManus in London, ist einer der vielseitigsten Sänger und Komponisten der Popmusik, sein Repertoire reicht von New Wave über Country bis hin zu Orchesterwerken. Zuletzt erschien sein Album National Ransom. Seit 2003 ist er mit der Jazzsängerin Diana Krall verheiratet.

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