Die Zeit, March 5, 1993

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Patrick McManus alias The Imposter alias Napoleon Dynamite alias Elvis Costello

Ist diesem Mann zu trauen?


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Konrad Heidkamp

Da steht er nun, unser Beloved Entertainer, im gedeckt Kombinierten, eingerahmt von drei Herren im ebenso gedeckt Kombinierten und einer Dame in Grau, mit Streichinstrumenten, und blickt nach oben, zur klassischen Empore. Hat sich Declan Patrick McManus alias The Imposter alias Napoleon Dynamite alias Elvis Costello nun eine neue Verkleidung ausgedacht, um unsere Verehrung zu düpieren, um uns zu fragen: Liebt ihr mich auch so? Als Tenor zum klassischen Streichquartett?

Und all das Trampeln, begeisterte Klatschen und euphorische Pfeifen, das ihm und dem Brodsky Quartett in Hamburgs Musikhalle entgegenschwappt, quittiert er nur mit einem leichten Grinsen und einem „Thanks for the warm welcome“. Nein, er mißtraut unserem Beifall und braucht ihn doch, es ist ihm gleich, wie viele Platten er verkauft, nur zum Leben sollte es halt reichen, er will kein Popidol sein und ist doch versucht.

Seit seinem Auftauchen, 1976, im Dunstkreis des Punk provoziert der Londoner Elvis Costello Mißverständnisse. Zuerst wurde der schmächtige junge Mann mit den ungelenk spastischen Bewegungen und dem Buddy-Holly-Outfit versehentlich in der Abteilung New Wave eingeordnet, dann wäre er mit seinen eingängigen Melodien zu „Oliver’s Army“ und „Watching the Detectives“ beinahe zum Popstar aufgestiegen, hätte man nicht – gerade noch rechtzeitig – die bitterbösen Texte verstanden. Dann legte er sich öffentlich mit Ray Charles an, ein Vorfall, der das vorläufige Ende seiner Popularität in den USA bedeutete und den Beginn einer Diskussion, die der Detroiter Sänger Mitch Ryder als Songtitel verewigte: „Ain’t Nobody White Can Sing The Blues?“

Es ist nicht der Blues, den er singt, aber sonst findet sich wohl kaum ein Genre, das Elvis Costello nicht assimiliert hat. Von Stax beeinflußte Bläsersätze auf „Get Happy“, Country-songs auf „Almost Blue“ über Standards, Jazz, Kurt-Weill-Anklängen bis zum Revival des Garagensounds seiner früheren Begleitgruppe „The Attractions“ – in allen Kombinationen. Jedes Album ein neues Konzept, das Unerwartete als einzige Konstante. Ist diesem Mann zu trauen? Einem Mann, dessen forciert häßliches Anti-Image sich mit dem gleichmütigen Geständnis verbindet, er bediene sich musikalisch, wo er sich eben wohl fühle. Ein bißchen hiervon und davon, und schon ist ein neuer Elvis-Costello-Song geboren. Fünfzig waren es im vergangenen Jahr.

Vielleicht liegt das Unerwartete nur in der Offenheit, mit der da einer über das Melodie- und Harmonie-Recycling in der Popmusik spricht und erklärt, er interessiere sich kaum noch für Popsongs („Sie sind wie Omnibusse. Man kann sicher sein, daß in ein paar Minuten der nächste kommt“). In der Bestimmtheit, mit der er über sein neues Projekt sagt: „Ich mache ernste Musik. Ich verfüge nicht über die Technik dieser Leute, aber ich nehme das, was ich mache, absolut ernst.“

Und da steht er nun, in Hamburgs Stuckpalast. Anfangs leicht verkrampft, ein wenig zu bemüht, nur einer unter fünf Gleichen zu sein, das ledergebundene Textbuch in klassischer Nikolausart zum Rezitativ aufgeschlagen. Doch der Spott verweht. Verschwindet mit den ersten Tönen der „Juliet Letters“. Versteckt sich vor der reinen Schönheit und Melancholie dieser Lieder. Klärende Zwischenworte verbinden die Stücke: Erzählen von der Inspiration dieses Zyklus durch eine Zeitungsnotiz über einen Professor in Verona, der jahrelang Briefe an Shakespeares Julia beantwortete. Berichten von der Idee, selbst solche Briefe zu entwerfen, in jeder Form und Stimmung, sei es als Abschieds-, Liebes-, Bittbrief, als Notiz, Kommentar, als Brief eines Selbstmörders, eines Toten, eines Psychopathen. Erklären die geteilte Arbeit an Wort und Musik und der Verbindung beider Teile, das Zusammenfinden vom renommierten Brodsky Quartett und einem Komponisten, dem die bewährte Notation bisher fremd war. Der hohe Ton, die Weihe des Vorhabens – ein bißchen drückt das schon aufs Vergnügen. Anfangs.

Doch dann entpuppen sich die vermeintlichen Widersprüche und Mißverständnisse in Elvis Costellos Karriere als Projektionen der eigenen Hörergeschichte. Einer Erwartung, unter der sie alle zu leiden haben – alle, die in der Liga Elvis Costellos spielen: Bob Dylan, Neil Young, Randy Newman, Tom Waits, Lou Reed. Warum sie dies nicht wie damals, warum sie so und nicht anders, warum sie sich im Alter verändern, während wir doch, warum sie sich weigern, uns die Illusion zu lassen...

Elvis Costello ist sich treu geblieben. Er singt mit der Schärfe des New Wave, mit dem Pathos des Country, mit dem Gefühl der alten Standards. Er weigert sich, eindeutig zu sein. Verpackt die sarkastischen Texte in tonalen Wohlklang, taucht ab in Charaktere, in Briefstile, in Rollen, die sich dem Versinken verschließen. Er ist kein Geschichtenerzähler, sitzt lieber über einem Puzzle aus Perspektiven, Tonfällen und Stimmungen. Mit einem Satz: Er ist zu intelligent und zu neugierig auf Musik, um jemals richtig populär zu werden. Auch ein Trost.

Die Befürchtung, daß Pop hier mit Klassik gekreuzt wird, ist unbegründet. Hier streicheln Streicher nicht den Schmelz auf karge Rockkost, hier verpoppt niemand ein Streichquartett, hier verschlingt Kronos keine unschuldigen Kompositionen. Und das Fehlen von Vergleichen mag man als Kompliment verstehen. Jeder Brief lebt seinen eigenen Inhalt. Lieder wie „I Almost Had A Weakness“, „Taking My Life in Your Hands“ oder Jacksons, Monk And Rowe“ wären hitparadenverdächtig, würde man sie nur mit der „passenden“ Begleitung versehen. Andere wie „I Thought I’d Write To Juliet“ sind von einer Komplexität, daß man schon den Text lesen sollte, um ihre Vertracktheit und ihren traurigen Humor zu verstehen, und manche wie „The Birds Will Still Be Singing“ strahlen in einer Schlichtheit, die nur mit dem englischen Wort bittersweet zu verbinden ist. Elvis Costellos Stimme steigert sich vom Flüstern zum Schrei, kommt aus voller Brust, klar und klassisch, oder wird rauh, mit jenem Hauch messerscharfer Resignation, der einen immer im Unklaren läßt, ob das nun depressiv oder insgeheim hoffnungsvoll gemeint ist. Oder, wie ein englischer Kritiker schrieb: Man weiß nie, ob er sich die Hände reibt oder sie vor Verzweiflung ringt.

Da steht er nun, unser Sänger, herzbrechend, aber nicht sentimental, frivol und ernst zugleich, mißtrauisch und gut gelaunt, schwer verdaulich und eingängig. Und die Zugaben dauern so lange wie die erste Hälfte des Konzerts. Neue Songs des „Wortschmieds“ und seines „Popkomponisten“, des Geigers Michael Thomas, alte Titel, „Lieder, für jeden gedacht, der zuhören kann“, wie Elvis Costello zwischen den verspannten Lippen lachend verkündet. Und vielleicht singt er doch nur, um die Zähne zeigen zu können.

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Die Zeit, March 5, 1993


Konrad Heidkamp reviews Elvis Costello and the Brodsky Quartet on Wednesday February 24, 1993 at Musikhalle, Hamburg, Germany.


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