Die wilden Jahre als Rebell sind lange her, doch eine Attitüde der frühen Jahre hat sich Declan MacManus alias Elvis Costello bewahrt: die musikalisch-stilistische Unberechenbarkeit, die Neugier und Offenheit die bis dahin gewohnten Klangwege zu verlassen. Das Unerwartete ist Programm des 66-Jährigen,, der den Corona-Sommer ganz anders verbrachte als geplant; Mit Ehefrau Diana Krall, einer begnadeten Jazzpianistin/Sängerin, und den zwölfjährigen Zwillingssöhnen war er zu Hause. „Ich singe ständig mit meiner Frau, vor allem in der Küche – und jetzt war es so, dass aus allen Zimmern Musik schallte“, beschrieb er jüngst in einem Interview, wie die Familie Teile ihres Zusammenlebens gestaltete. Und er lud Tag für Tag alte Songs seines Katalogs im Internet hoch, ingesamt 50.
Sein neues, insgesamt 31. Album Hey Clockface (Review siehe GT 5/2020) war da schon im Kasten. Im Februar war er zu Aufnahmen mit Eetü Seppäiä im Suomenlinnen Studio in Helsinki zugange, auf der Heimreise ins UK machte er für ein Wochenende Station in Paris, genauer im Saint Germain Studio. „Ich habe live im Studio gesungen und dabei von der Gesangskabine aus Regie geführt. Wir haben neun Lieder mitgeschnitten - fast alles, was die Musiker des eigens für diesen Anlass zusammengestellten Ensembles spielten, war eine spontane Reaktion auf das Stück, das ich gerade sang", schildert er die Situation im Studio. Weitere Aufnahmen entstanden in New York, Regie führte dort der Komponist/Arrangeur/Trompeter Michael Leonhart, beteiligt waren auch Bill Frisell und Nels Cline, ehe Costello die Ergebnisse "via electrical wire" textlich und stimmlich vervollständigte. Alles nach der Devise: "Wichtig war mir, dass die Platte lebendig ist, egal ob die Songs laut und zackig oder intim schön gespielt wurden." Das Resultat: eine Wanderung zwischen melancholischen Balladen und Underground-Attitüde, stilistisch nirgendwo eindeutig zu verorten. Typisch Costello eben. Und es ist ein durchaus noch rebellischer Beitrag zur aktuellen Weltlage voller Selbstsucht, Fremdenfeindlichkeit und gleich-zeitiger Gerechtigkeitssuche. „Ich vertrete keine Religion oder Philosophie, habe nur den Kopf voller Ideen und Worte, die nicht mir gehören, sondern aus mir herausströmen - und sorge mich, welche Welt wir unseren Kindern und künftigen Generationen hinterlassen."
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