Neue Zürcher Zeitung, September 13, 2013

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Elvis Costello trifft The Roots

Geteilte Gegenwart


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Ueli Bernays

Elvis Costello hat zusammen mit der Hip-Hop-Band The Roots ein Album eingespielt. "Wise Up Ghost" klingt gleichzeitig roh und raffiniert.

Im Anfang sind Stimme und Schlagzeug: Hart und funkig schlägt der Drummer Pfade durch die Verkalkung der Zeit. Und von Sorgen singt der Sänger: «And we won't make a sound, except to sing our sorrow». Zwischen die Beats des 42-jährigen Hip-Hop-Pioniers Ahmir «Questlove» Thompson und die heisere Stimme des 59-jährigen Singer/Songwriters Elvis Costello aber legen sich Arrangements aus Orgeln, Bläsern, Streichern. Der geschichtete Sound nimmt sich wie ein Geflecht aus Wille und Vorstellung aus.

Innere Logik

Authentizität ist an sich wohl eine direkte Funktion des Seins. Aber auch wer inständig etwas will, wirkt irgendwann glaubwürdig. Diese Form musikalischer Aneignung und Identifikation erweist sich in der Zusammenarbeit von Costello und Questlove, dem Drummer der wegweisenden Hip-Hop-Band The Roots, als bindende Erfahrung, als geteilte Gegenwart. Und mochte einem diese Kollaboration dieser Sonderlinge zunächst überraschen, als man letzten Januar davon hörte, so hat das Album «Wise Up Ghost» nun durchaus eine innere Logik.

Costellos Karriere begann in der Kälte von Underground und britischem New Wave. In seinen poppig-punkigen Anfängen lernte der eitle und gewitzte Nerd, gesanglich Theater zu spielen und sich in Rollen zu versetzten. Im Laufe der Jahre wurde daraus eine Obsession: Der Sänger drängte sich immer weiter vor in fremde Welten und insbesondere in die amerikanische Musiktradition. Er wühlte sich durch die Schollen von Folk, Rock, Blues und suchte hier offenbar eine expressive Kraft – so etwas wie eine zweite Natur, die er auf seinen Alben dann zumindest glaubhaft simulierte. Dabei setzte er immer wieder auf die Mithilfe amerikanischer Experten: auf den Jazz- und Folk-Gitarristen Bill Frisell («Deap Dead Blue», 1995), auf den Pop-Komponisten und Arranger Burt Bacharach («Painted From Memory», 1998) oder auf den New-Orleans-Stilisten Allen Toussaint («The River In Reverse», 2006) (es ist wohl auch nicht zufällig, dass er 2003 dann die kanadische Jazzpianistin und Sängerin Diana Krall ehelichte).

Die vielfältige Musikalität von Questlove und The Roots ist scheinbar leichter erklärt: Als Hip-Hop-Band versuchten sie das Zitieren und Montieren, das Mixen und Remixen der DJ in den Kontext von Live-Musik zurückzuholen. So wurden sie zu Archäologen der Pop-Geschichte: Ihre Konzerte gerieten phasenweise zu Zitat-Schlachten und zu heiteren Ratespielen. Die dabei gewonnene stilistische Flexibilität kommt den Roots heute in Jimmy Fallons Late Night Show zugute, wo sie als Resident-Band fungieren. In einer Ausgabe dieser Show haben sie Elvis Costello kennengelernt. Auch The Roots aber suchen immer wieder Kollaborationen, um den eigenen Horizont zu erweitern – so spielten sie mit dem M-Base-Jazzsaxofonisten Steve Coleman, mit Rap-Stars wie Jay-Z und mit Soulsänger wie D'Angelo oder Cody Chesnutt.

Obwohl «Wise Up Ghost» auf sessionartigen Versuchen von Costello, Questlove sowie dem Roots-Sound-Ingenieur Steven Mandel basiert, erweist sich das Album nun wenn nicht als Wurf so doch als ebenso kontrastreiches wie stimmiges Werk. Die unterschiedliche Herkunft der Protagonisten bleibt hörbar. Das Repertoire, das von knochigem R'n'B, archaischem Rock und federndem Funk dominiert wird, führt wiederholt in den düsteren Vorhof der Hölle, wo Wut glüht, Verzweiflung dräut. In dieser Sphären («Wake Me Up», «Stick Out Your Tongue») hält sich Costello gesanglich zurück. Er versucht sich nicht als Rapper (Black Thought, der eigentliche Roots-Rapper, ist übrigens nicht mit von der Partie), lauert aber quasi in gebetsartigem Sprechgesang. Wohler aber fühlt er sich, wenn er die Stimme im kehligen Vibrato eines breiten Refrains erzittern lassen darf – wie etwa in «Sugar Won't Work». Zuletzt führt er die Musik gar in die anrührende Pop-Ballade «If I Could Believe», die sich wie ein zuckriges Sahnehäubchen abhebt von den schwarzen Tracks.

Blues als Brennstoff

Questlove überzeugt einmal mehr als Produzent. Er versteht es, in die tiefen der Black Music zu bohren, um die Brennstoffe des Blues und Souls in zeitgenössische Pop-Musik einfliessen zu lassen. Dabei baut er nicht nur auf historisches Wissen, sondern auch auf technisches Können: Wie nur wenige versteht er es, Live-Musik mit den Möglichkeiten der Postproduktion zu kombinieren. So wirken die zwölf Tracks gleichzeitig spontan und ausgeklügelt, roh und raffiniert. Nicht zu unterschätzen ist schliesslich auch die Bedeutung des zugewandten Personals: Der Neo-Soul-Virtuose Pino Palladino etwa spielt Bass, und die berauschenden Streicher-Arrangements stammen von Bernt Fischer (dem Sohn des Jazz-Arrangeurs Clare Fischer).

Elvis Costello & The Roots: Wise Up Ghost (Blue Note/Universal).

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Neue Zürcher Zeitung, September 13, 2013


Ueli Bernays reviews Wise Up Ghost.

Images

File:2013-09-13 Neue Zürcher Zeitung photo 01 gk.jpg
Zwischen die Beats des 42-jährigen Hip-Hop-Pioniers Ahmir «Questlove» Thompson und die heisere Stimme des 59-jährigen Singer/Songwriters Elvis Costello legen sich Arrangements aus Orgeln, Bläsern, Streichern.

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