Neue Zürcher Zeitung, April 18, 2002

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Ein alter, junger, zorniger Mann

Elvis Costello überzeugt auf seinem neuen Rockalbum
«When I Was Cruel»

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   Hanspeter Künzler

Kein Songschreiber aus England kommentiert seine Zeit mit schärferer Zunge als Elvis Costello. Keiner ist so viele musikalische Risiken eingegangen wie er. «When I Was Cruel» heisst sein erstes Rockalbum seit sechs Jahren. Es ist eines seiner besten.

Draussen drescht der Frühlingsregen. Drinnen im Büro rauscht die Klimaanlage und sorgt für neutrale Idealtemperatur. Elvis scheint dies nicht zu merken. Ohne sich der dicken Kunstfellmütze oder des entsprechenden Mantels zu entledigen, legt er schon beim Betreten des Raumes los. «Sehr, sehr spät ist es geworden gestern!», verrät er. Unbedingt habe er noch ein paar Änderungen an seinem neuesten Werk anbringen müssen. Dabei handelt es sich um die Musik zu einer Ballettumsetzung von Shakespeares «Midsummer Night's Dream», die eine italienische Tanztruppe bei ihm in Auftrag gegeben hat. Zwischen der Interview-Strecke für Costellos neues Album «When I Was Cruel» und seiner baldigen Konzerttournee arbeitet er für dieses Stück, das vom London Symphony Orchestra für eine weitere CD eingespielt wird. Dabei konnte Elvis bis vor zehn Jahren noch kaum Noten lesen. «Die Arbeit machte Spass», schwärmt er. «Alles mit Bleistift und Papier. Nichts Computer! Denn damit kann man mogeln. Man spielt eine Pianomelodie, und der Computer füllt die Akkorde der anderen Instrumente aus, als wären es lauter Klaviere. Man muss lernen, für ein Orchester zu denken.»


Immer schön das Gegenteil tun

Rebellion braucht nicht mit Lärm und Spucke daherzukommen, um zu schockieren. Das bewies Elvis Costello schon mit seinem ersten Album, «My Aim Is True». Im Juli 1977 platzte dieses mitten ins rabauzige Gelärme der Punks. Zwischen diesem und dem anderswo vorherrschenden Zirkuspomp der «grossen» Rockbands hätte das Album eigentlich untergehen sollen wie zwischen Stuhl und Bank. Es war weder laut noch virtuos. Der Einsatz von Studiotechnik belief sich auf ein Minimum. Der allgemeine Ton erinnerte an die Singer/Songwriter im «altmodischen» amerikanischen Stil. Dass es dermassen einschlug (es kam in den britischen Charts auf Rang vierzehn), war ganz auf die gewiefte Art Elvis' zurückzuführen, genau das Gegenteil von dem zu tun, was der Zeitgeist von ihm erwartete. Wo rundum alles mit goldenen Perücken oder festgeleimten Stachelschweinfrisuren daherkam, präsentierte er sich mit Hornbrille und im Bankerlook (oder, wie heute, mit Pelzmütze). Während andere «We Are the Champions» johlten oder rüde die Queen anrotzten, liess sich Elvis mit einem Schwall von galligen, doch wohlartikulierten und äusserst unterhaltsamen Worten ebenso über gemeine Ex-Freundinnen («Allison») aus wie über den rechten Rand der politischen Landschaft («Less Than Zero»).

Selbstverständlich half es ihm in seiner brennenden Mission, dass seine Platten beim wegweisenden Indie-Label «Stiff» erschienen, welches das Publikum einer gewissen Generation dahingehend erzog, dass es statt Trends das Unerwartete suchte. Dabei erachtet Costello genau diesen Mut, gegen den Trend anzuschreiben, als eine der grössten Qualitäten von Bob Dylan: «Tears of Rage», erklärt er, «gehört zu den wahrhaft grossartigen Liedern. Unglaublich, 1969 ein Lied über den Schmerz der Eltern zu singen, die ihre Kinder nicht mehr verstehen, just dann, wenn die Desillusionen der Woodstock-Generation rundum auf dem Zenit stehen!» Es ist eine Lektion, die Costello gut gelernt hat (übrigens war Costello auf Dylan gestossen, als sein Vater als Sänger des Joe Loss Orchestra Lieder wie «Subterranean Homesick Blues» in Big-Band-Arrangements einstudieren musste).


Popmusik von Thatcher bis Blair

Nach «My Aim Is True» kam Costellos grosse Zeit im Pop. Dank den LP «This Year's Model» und «Armed Forces» folgten die Hits Schlag auf Schlag («Damals hiess Pop etwas anderes als heute. Damals war Pop eine Frage der Songstruktur, und diese war es, die jenen Alben erst ihre Stärke gab.»). Über die achtziger Jahre hinweg bis hin zu «All This Useless Beauty» von 1996 legte er hernach immer wieder starke Song-Sammlungen vor, die mal ins Rockige gingen («Brutal Youth»), mal Richtung Soul («Get Happy»), wieder andere Male Richtung Country & Western («Almost Blue»). In den neunziger Jahren begann er vermehrt - und unerwarteterweise -, mit anderen Künstlern zusammenzuwirken, etwa mit dem Brodsky Quartet («The Juliet Letters»), mit Burt Bacharach («Painted From Memory», «The Sweetest Punch») und Anne Sofie von Otter («For The Stars»). «When I Was Cruel» ist nun wieder ein eher konventionelles Rockalbum, eines mit Biss - in einer Zeit, da sprachliche, textliche Schärfe im Rockgeschäft so unmodisch zu sein scheint wie lange nicht mehr.

Elvis glaubt nicht, dass das Album die Wiedergeburt des zornigen jungen Mannes markiert: «Höchstens vielleicht die des zornigen alten Mannes, der immer schon in mir steckte.» Dabei ist zum Beispiel der Titelsong eine bissige Attacke auf die Politiker, die heute die Geschicke Britanniens kontrollieren: «Früher, wo alles ganz klar war - man war gegen Thatcher -, war es einfach. Heute, wo man wegen seines Alters vielleicht mehr Verständnis für die menschliche Seite dieser Leute aufbringt, vergisst man gern, dass sie trotzdem noch Schurken sind.» Entstanden ist das Album unter anderen mit den alten Mitstreitern Pete Thomas (Drums) und Steve Neive (Keyboards).

Costello selber wirkt als Gitarrist und Koproduzent - Letzteres unter dem Pseudonym «The Imposter», ein Titel, den er hervorholt, wenn er glaubt, seine Musik bewege sich in die Nähe des R'n'B. Man könnte fast meinen, er wolle sich mit dem Titel «Imposter» (Schwindler) über die Vorstellung lustig machen, dass ein weisser Mann wie er tanzt. «Ich versuche gar nicht erst zu tanzen!», lacht Costello. «Darin besteht für mich der Reiz der Musik. Sie nimmt Elemente aus Musik wie Hip-Hop oder Reggae oder Stax und macht daraus etwas ganz anderes.» Den Plan für ein Album mit mehr Bass und Perkussion, dazu mit allerhand heimgestrickten elektronischen Verfremdungen, hegte er schon lange. «Aber es hat keinen Zweck, eine CD zu veröffentlichen, wenn die Plattenfirma keine Zeit dafür hat. Als Vivendi Universal aufkaufte, konzentrierte ich mich voll auf die Ballettmusik und die Arbeit mit Anne Sofie von Otter. Das hat mir sogar geholfen. Ich habe länger an den neuen Songs arbeiten können. Ausserdem ist es im Kontrast zur Disziplin des Orchesterwerkes ein unglaublich aufregendes Gefühl, wieder einmal so richtig loszulegen.»

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Neue Zürcher Zeitung, April 18, 2002


Hanspeter Künzler profiles Elvis Costello.



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