Sein Interesse an Country-Musik ist nicht unbedingt neu; er hat in früheren Tagen des öfteren recht merkwürdige Country-Songs live gespielt, zeitweilig bildete er auch ein Duo mit dem "Country-Helden" George Jones. Von daher sollte die Tatsache, daß er ein ganzes Album mit Country-Melodien füllen und sogar nach Nashville fahren wollte, um Billy Sherrill davon zu überzeugen, es zu produzieren, keine allzu große Überraschung sein.
Die meisten Country-Fans träumen in aller Regel nur davon, aber zufällig ist Costello berühmt genug, um seinen Wunsch in die Tat umzusetzen.
Bei diesem Unterfangen ist es schon überraschend, daß weder Costello noch seine Band, die Attractions, gewaltige Fehler begehen und sich nicht selbst zum Narren halten. Das Singen von Country-Musik ist nicht leicht, und einige der Stücke, an die sich Costello gewagt hat ("Sweet Dreams," "Tonight The Bottle Let Me Down," "How Much I Lied") sind besonders schwierig. Costello hat dennoch nicht immer gute Arbeit geleistet. Sein von den Ramones inspirierter Hank Williams-Titel "Why Don't You Love Me (Like You Used To Do)" ist außerordentlich dumm, aber zumindest bei drei Songs gibt er sein Bestes.
Ein wirklich guter Country-Sänger hat nicht nur seine Stimme unter Kontrolle, sondern er kann auch einen Charakter darstellen. Im Idealfall bekommt der Hörer, nachdem er den Song gehört hat, eine Vorstellung von der Persönlichkeit des Musikers. Es muß noch nicht einmal eine völlig exakte Vorstellung sein, aber sie sollte zumindest vage stimmen. Costello erreicht dieses Ziel bei Patsy Clines "Sweet Dreams," in dem Song der Flying Burrito Brothers, "I'm Your Toy" und bei Jerry Chesnuts "A Good Year For The Roses." In all diesen Balladen ist der Sänger einsam, wehleidig, und möglicherweise hat er resigniert, eine Sehnsucht schwingt ständig mit. In Anbetracht der Tatsache, daß Costello nun mal eine Rock 'n' Roll-Persönlichkeit ist, möchte man ihm für diese Leistung auf die Schulter klopfen.
Bei Kompositionen, die ein stärkeres Auftreten erfordern, macht Costello nicht immer die beste Figur. George Jones "Brown To Blue" verlangt eine äußerste Dynamik. Der Interpret steht vor dem Scheidungs-richter, Tränen rollen über seine Wangen, das Gesetz ist feindselig und erbarmungslos. Der dargestellte Typ reißt sich vor Verzweiflung die Haare aus. Jones läßt diese Szene real erscheinen, wo hingegen Costellos Fassung relativ flau klingt. Das Gefühl am Abgrund zu stehen, kommt bei ihm nicht rüber. Ähnlich verhält es sich bei Merle Haggards "Tonight The Bottle Let Me Down" und Jones' und Larry Williams' "Color Of The Blues," wo der Text nicht unbedingt zur Musik paßt. Das Problem liegt weniger in Costellos Person als vielmehr in der fragwürdigen Auswahl des Materials.
Costellos Stärke liegt zweifellos in der Interpretation von Balladen. Man könnte sich förmlich vorstellen, wie er nachdenklichere Stücke von Willie Nelson und sogar die Jim Reeves-Melodie "Put your sweet lips a little closer to the phone" aus "He'll Have To Go" singt bzw. singen würde. Sein eigener Geschmack scheint jedoch weit mehr in Richtung Honky-Tonk-Stil zu gehen, und dabei klingt seine Stimme ziemlich angestrengt und zu sehr an Doug Sahm angelehnt. Besonders deutlich wird das bei "Tonight The Bottle Let Me Down" und Charlie Richs "Sittin' and Thinkin'."
Man kann sicher sein, daß Costello seine Rock 'n' Roll-Ambitionen nicht fallen lassen wird, dennoch ist Almost Blue kein Scherz. Die Attractions machen ihre Sache alles in allem gut. Für ihr Album gibt es übrigens noch einen weiteren Bonus: auf diesem Album versteht man erstmals alle Textstellen.
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