Rolling Stone Germany, October 2004

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Elvis Costello – King of America


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   Maik Brüggemeyer

In New York fand Elvis Costello nach der Trennung von seiner zweiten Frau nicht nur privat ein neues Gluck — seine Wahlheimat stand auch Pate bei dem wundervollen neuen Blues-, Soul- und Gospel-Album. Anlass genug für eine Bilanz — und ein ausführliches Gespräch in New York.

Eine halbe Stunde vor Konzertbeginn in der Avery Fisher Hall des New Yorker Lincoln Centers an der Upper Westside betreten die ersten Mitglieder der Brooklyn Philharmonics die Bühne und spielen sich ein. Ein ziemlich ratloser Mitt-40er mit Armed Forces-T-Shirt unter seiner Jeansweste krault sich leicht gelangweilt den zauseligen Kinnbart. Rock 'n' Roll ist das nicht . Er hat ein ganz teures Ticket gekauft — Reihe M, im Parkett — und das gleich für drei Abende "In This Moment: Elvis Costello" heißt diese Konzertreihe des Lincoln Centers. Wie der Titel schon nahe legt, stehen die Zeichen nicht unbe-dingt auf Nostalgie. Andere Künstler hätten diese einmalige Gelegenheit vermutlich zu einer Karriere-Retrospektive genutzt, vor allem wenn sie — wie Costello — wenige Tage vor ihrem 50. Geburtstag stehen würden. Am ersten Konzertabend geb's zwar einige alte Songs zu hören — allerdings in völlig neuen Jazz-bearbeitungen des niederländischen Metropole Orkest –, die meisten Stücke waren jedoch neueren Datums. Der zweite Abend im New Yorker E-Kultur-Zentrum begann mit den Worten "Turn off your cell phones, you won't hear 'em anyway" — Costello und seine Imposters betraten die Bühne, begannen mit einem furiosen "I Hope You're Happy Now," kurz darauf folgten die frühen Klassiker "Waiting For The End Of The World," "You Belong To Me" und "Radio, Radio." Doch auch hier klang vieles neu, denn der Unterschied zwischen der alten Costello-Begleitcombo The Attractions und den Imposters ist — obwohl nur auf einer Position verändert — einer ums Ganze.

Wo Attractions-Bassist Bruce Thomas druckvoll die gesamte Verve Costellos auf den Rhythmus übertrug, schien Davey Faragher am Bass variabler — aber auch gelassener. Doch das bekam den Songs erstaunlich gut und rettete den jugendlichen Hochdruck nahtlos ins mitlere Alter. Allzu lange beschäftigen sich die Imposters allerdings nicht mit dem Frühhwerk ihres Chefs, bald schon begannen sie, mit nur wenigen Unterbrechungen fast das komplette neue Album The Delivery Man aufzuführen.

Nun also der dritte Abend: Wenn niemand auf sie aufpasst, sind Philharmoniker ja eher Disharmoniker, doch einige Passagen aus dem Werk, das hier gleich aufgeführt werden soll, kann man schon heraushören. Es handelt sich um das erste große Orchesterwerk von Elvis Costello. Ursprünglich geschrieben für eine Ballettaufführung von Shakespeares A Midsummer Night's Dream in Bologna: Il Sogno di una notta die mezza estate, kurz: Il Sogno. Unter diesem Titel erscheint nun auch eine überarbeitete Version er Ballettmusik auf Tonträger. Im April 2002 eingespielt vom London Symphony Orchestra under der Leitung von Michael Tilson-Thomas in den Abbey Road Studios in London. An diesem warmen Sommerabend in New York soll diese Version nun erstmals auf die Bühne gebracht werden. Costello kriegt man zunächst nicht zu sehen, denn nicht er steigt aufs Podest, um die Musiker mit wilden Armbewegungen zu verwirren — Avantgarde-Aficianado Brad Lubmann dirigiert dirigiert die Brooklyn Philharmonics durch die ursprünglich 200 handgeschriebenen Manuskriptseiten. Die meisten Fans warten natürlich trotzdem vor allem auf en Meister persönlich, der anschließend noch einige (Pop-)Songs mit Orchesterbegleitung geben wird, und blättern so lange gelangweilt im Programmheft. Dabei ist Costello schon während der einstündigen Il Sogno-Aufführung mehr als präsent, und das, obwohl die Musik völlig ohne seine gefürchteten Wortkaskaden auskommen muss. Der Mitteilungsdrang des hyperaktiven, hitzköpfigen, blitzgescheiten, eloquenten, bollerköpfigen, scharfsinnigen, frisch verheirateten Neuwahl-New Yorkers (ich bin sicher, Costello hätte für die Beschreibung der eigenen Person in einem Song nicht weniger Adjektive verwendet) ist — dessen ungeachtet — enorm. Jede Passage scheint von der Informiertheit des Komponisten zu künden, ein Verweis auf Dvorak hier, einer auf Gershwin dort, an einer anderen Stelle meint man Debussy zu hören — oder Charles Mingus. Das Ganze wirkt wie ein großer Kaffeeklatsch der klassischen Moderne. "Originalität wird allgemein überbewertet," wird Costello mir einige Wochen spater auf meine schriftliche Nachfrage ob seiner Einflüsse entgegnen. "Komponisten, die wesentlich besser sind als ich, haben auch zitiert oder auf bereits bestehende Formen und Stile angespielt." Eine Methode, die Costello selbst bei Genrewerken wie Get Happy!!, King Of America oder seinem neuen Album The Delivery Man auch oft und gerne angewendet hat.

Das Hotel, in dem ich Elvis Costello am Tag darauf zum Kaffee treffe, liegt in Soho, an der Mercer Street. Die trifft an einer Stelle auf die Bleecker Street, die in westlicher Richtung mitten ins Herz der New Yorker Folk-Szene der 50er und 60er rund den Washington Square führt, gen Osten trifft sie auf die Bowery — und zwar genau dort,wo auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Markise von New Yorks Punk-Adresse Nummer 1 zu sehen ist. Vier Buchstaben zieren sie: CBGB.

Die Bleecker Street erscheint fast wie ein Sinnbild für den Beginn der Karriere des jungen Declan Patrick MacManus, den man später Elvis Costello nannte. Angefangen hatte nämlich alles im Londoner Folkclub "The Crypt," wo Declan als 16-Jähriger seine ersten Gigs spielte — und acht Jahre später stand er tatsächlich auf der Bühne des CBGB und spielte zusammen mit seinem Freund Richard Hell und den Voidoids unter anderem dessen "You Gotta Loose" und "Shattered" von den Rolling Stones.

Der Weg dorthin führte über Liverpool. Dorthin war er nach der Scheidung seiner Eltern mit seiner Mutter Lilian gezogen, hatte zusammen mit seinem Freund Allan Mayes als Folk-duo Rusty Songs von Neil Young, Loudon Wainwright, Bob Dylan, Simon & Garfunkel und auch erste unbeholfene Eigenkompositionen gespielt. "My mandolin picks out of time / And out of tune as well / A simple song I learnt a while ago / While you were sleeping," heißt es im Stück "Dull Echos" — er übte halt noch.

1972 hörte der damals 18-Jährige erstmals die Platte, di — wenn man es pathetisch formulieren will — "sein Leben veränderte": Silver Pistol, das dritte Album von Brinsley Schwarz. Zu der Zeit drehten sich in Liverpooler Jugendzimmern sonst die Platten von Led Zeppelin, Yes und anderen schweren Rockbands, es ging um Lautstärke, Virtuosität — und Haare. Dem jungen Declan, der als Kind des Tanzorchestersängers und -trompeters Ross MacManus mit Motown-Songs ebenso aufgewachsenen war wie mit Gershwin und Sinatra, imponierte die musikalische Schlichtheit des Pubrocks, der auf virtuose Soli verzichtete und den Song wider in den Mittelpunkt der Performance rückte.

"Wir hatten einen Gig im Cavern Club in Liverpool," erinnert sich Brinsley-Schwarz-Sänger und -Bassist Nick Lowe, "und wir saßen gegenüber im 'The Grapes' und tranken Cocktails, um uns schon mal in Stimmung zu bringen."

"Da kam Elvis rein, und irgendwer sagte: 'Schau an, da ist wieder dieser weird-looking-geezer, der immer zu unseren Shows kommt.' Und ich dachte: Dann ist's wohl Zeit, ihn mal auf ein Bier einzuladen und mich vorzustellen." Daraus entstand nicht nur eine der am längsten währenden Freund schaften in Costellos Karriere, er hatte auch seinen Mentor und den Produzenten seiner ersten Alben kennengelernt. Kein Wunder also, dass er Declan MacManus bald wieder nach London zog, wo er mit seiner neu gregündeten Band Flip City mit mäßigem Erfolg auf den Spuren seiner Helden Brinsley Schwarz wandelte; allerdings mit einem mittelschweren Country-Einschlag, denn mittlerweile hatte er Sweetheart Of The Rodeo von den Byrds und Gilded Place Of Sin von den Flying Burrito Brothers für sich entdeckt. In diese Zeit fiel auch die Veröffentlichung der beiden Gram-Parsons-Soloalben GP und Grievous Angel, die zu wichtigen Einflüssen auf Declans Songwriting wurden. Erste Versionen von "Radio, Radio" (damals noch "Radio Soul"), "Mystery Dance" und "Blame It On Cain” tauchten auf.

Die Fähigkeiten seiner Mitmusiker waren bei solchen Songs schnell überschritten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Flip City als Vehikel für das sich stetig entwickelnde Songwriting-Talent nicht mehr taugten. So spielte Declan, der mittlerweile als computer operator bei der Elizabeth Arden Company (der "vanity factory" aus "I'm Not Angry") arbeitete, die Songs solo unter dem Namen DP Costello. (Costello war der Mädchenname seiner Großmutter, die Initialien deuten auf den nicht nachlassenden Gram Parsons-Einfluss.) Die Reduzierung auf Stimme und Gitarre verstärkte auch die Begeisterung für klassichen Country: Hank Williams, George Jones, Charlie Rich und Merle Haggard hinterließen ihre Spuren auf neuen MacManus-Kompositionen.

Page 5.

Als Costello im Melody Maker eine Anzeige des neu gegründeten Stiff-Labels las, machte er sich gleich auf ins Büro in der Alexander Street – vermeintlich, um ein Exemplar der neuen Nick-Lowe-Single "So It Goes" zu kaufen, eigentlich aber, um der Sekretärin von Labelmanager Jake Rivera ein Demo seiner eigenen Songs zu überreichen. Es war das erste Demo, das Rivera auf den Tisch bekam – und ein vielversprechenderes hörte er nie wieder, auch wenn die Songs (noch) nicht nach Kassenschlagern klangen. Die attitude schien eher den großen Countryballaden abgeschaut, es waren die "einzigen Songs in einem Rockidiom, in denen der Typ seine absolute Niederlage eingesteht," wie ihr Autor später in einem Interview nicht ohne Stolz feststellte.

Doch Countryballaden ließen sich zu dieser Zeit in England kaum verkaufen. So wurde aus DP Costello, dessen Musik, Kleidung, Geschmack und Hintergrund wenig Hinweis auf diese Entwicklung gaben, zu Elvis Costello, der neuen Hoffnung des Punk, umgemodelt (siehe Kasten Seite 57). Auf dem ersten Album lieferten noch die Pub-Rocker von Clover (der damaligen Band von Huey Lewis, der selbst jedoch nicht zugegen war) die Begleitung, konnten aber der lyrischen Schärfe, Wut und Paranoia der neueren Songs nicht immer ganz gerecht werden.

Man vergleiche die schlurfige musikalische Umsetzung der Songs auf My Aim Is True nur mal mit dem rasenden backing, das die noch vor Erscheinen des Debüts formierten Attractions auf This Year's Model lieferten, oder aber der Pop-Attacke auf dem Nachfolger Armed Forces.

"Man sollte sich nicht allzu viel daraus machen, dass die ersten Alben, die man macht, einen starken Eindruck bei den Leuten hinterlassen," meint Elvis Costello in einer der wenigen rückwärts gewandten Passagen unseres Interviews. Viel kriegt man über die alten Zeiten nicht zu hören, wenn man ihn darauf anspricht. Zunächst scheint er darauf einzugehen, doch im Nu ist er schon wieder bei den Ereignissen der letzten Tage.

"Auch wenn man heute Leute fragt, nennen sie meist eines meiner ersten drei Alben als ihr Lieblingsalbum, oder Blood & Chocolate, weil es nach heutigen Rock 'n' Roll-Hörgewohnheiten am zugänglichsten ist.

Das ist ja auch völlig okay, aber man sollte sich nicht selbst dadurch definieren und sich nicht von anderen Leuten, die eh keine Ahnung haben, erzählen lassen, alles, was man danach gemacht habe, sei nichts mehr wert.

Die letzten drei Nächte haben gezeigt, dass es auch für all die unterschiedlichen Dinge, die ich jetzt tue, ein Publikum gibt," erkärt er ein bisschen stolz, ein bisschen trotzig. "Man kann ja nicht immer das Gleiche machen, man trägt ja auch nicht immer die gleichen Klamotten. Manchmal ziehe ich was Schwarzes an, manchmal was Buntes, heute trage ich eine Sonnenbrille, weil ich ziemlich müde bin von den Proben der letzten Tage und der ganzen Aufregung." Und einen Hut. Einen lilafarbenen. Dazu einen schwarzen Anzug und ein neongrünes Hemd mit rosafarbenem Muster.

Auf dem Bett liegt, neben einem Ukulelenkasten, ein lilafarbener Anzug und ein ebenfalls neongrünes Hemd mit rot-schwarz-gelbem ...


Muster. Das ist wohl die Abendgarde-robe. Durchaus angemessen, schließ-lich will Costello nach dem Interview in die Radio City Music Hall zum Elton-John-Konzert gehen. Seit Elton Elvis und die Attractions 2003 in die Rock 'n'Roll Hall Of Fame einführte, schei-nen die beiden äußerst gut befreundet, so fanden die Hochzeitsfeierlichkeiten von Costello und seiner (dritten) Frau, der Jazzsängerin Diana Krall, auf El-ton Johns Anwesen in London statt.

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Die Krall scheint es auch zu sein, die unser Interview kurzzeitig stört, als Costellos Mobiltelefon piept - zumin-dest ist in den nächsten fünf Minuten am Ende jedes Satzes ein „my darling" zu vernehmen. Costello hatte den gan-zen Nachmittag Fotos für die britische Presse machen müssen. Nach der lan-gen Party zum erfolgreichen Ende der Konzertreihe hatte er bereits am Mittag ins Hotel gemusst. Während unseres Interviews gibt's die erste Mahlzeit -die ist natürlich kalt, nach dem Tele-fonat mit der Liebsten. „Diese drei Konzerte am Stück waren wirklich eine großartige Gelegenheit, auch wenn es natürlich viel Arbeit war in den letzten Tagen. Ich meine, das fällt ja mit mei-nem 50. Geburtstag zusammen, und statt ein großes Stück Kuchen zu essen, viel zu trinken und irgendwann schwer- mütig zu werden, so etwas wie diese Konzertreihe machen zu können und auch noch die Mög-lichkeit zu haben, statt einer nos-talgischen Rückschau etwas voll-kommen Neues wie Sogno` und „The Delivery Man' aufzuführen, war fantastisch. Und dann noch hier in New York, wo ich jetzt die meiste Zeit wohne - wir haben hier ein Apartment und ein Haus in British Columbia -, das war ein schönes Willkommensgeschenk."

Angekommen in „New Am-sterdam" also. „New Am-sterdam, it's become much to much", heißt es in dem gleich-namigen Song, in dem Costello die Erlebnisse der drogendurch-wirkten „Armed Funk"-US-Tour mit seinen Attractions Ende der 70er verarbeitete. Der Song fin-det sich auf dem 1980er Album „Get Happyll", auf dem sich erstmals seine zunächst zu-gunsten von Punk und Image verdrängte Be-geisterung für ameri-kanische Musik Bahn brach. Anlass für diese Entwicklung war ein Vorfall in Columbus, Ohio, wo der Tourtross Halt gemacht hatte und man in der Hotelbar auf Stephen Stills und seine Band traf Costello, der zu dieser Zeit auch abseits der Bühne sein aggres-sives Image auslebte und den in zu kleine Jackets gepferchten Highsporn gab, geriet relativ schnell mit Stils aneinander. Zusammen mir Attractions-Bassist Bruce Thomas mach-te er sich in betrunkenem Zustand häufiger den Spaß, in aller Öffentlichkeit alberne Anti-Amerlanismen abzuschießen. „Wenn ihr uns so hasst, was macht ihr dann in unserem Land?" fragte Stills leicht verärgert. „Wir kommen, um euer Geld und eure Frauen zu ho-len", zischte Costello. „Und was ist mit unserer Musik?" - „Ihr habt keine gute Musik hier." „Und was ist mit James Brown?".Da war alles zu spät, Costello schimpf-te Brown einen ,jive-ass nigger", und auch Ray Char-les sei „nothing but a blind ignorant nigger". Er hätte wohl Ähnliches über Bruce Springsteen oder Don Henley gesagt, wenn Stills ihn nur da-nach gefragt hätte. Dummerweise waren aber die Beschimpften schwarz und Stills-Backgroundsän-gerin Bonnie Bramlett eine Tratschtante, die alles der Presse erzählte. „Wenn du eine Karriere darauf aufbaust, auf der Bühne Zorn und Wut zu verbrei-ten, egal, ob du nun wirklich wütend bist oder nicht, wirst du früher oder später Sachen sagen, die du nicht wirklich meinst", versuchte Costello seinen Ausfall spä-ter in einem Interview mit der „New York Times" zu er-klären. „Twice shy and dog tired because you've been bitten/ Everything you say now sounds like it was ghost-written", heißt es in „New Amsterdam". „Armed Fortes" war bis dahin unaufhörlich die US-Charts hinaufgeklettert, doch nach diesem Zwischenfall war erstmal Schluss mit der Eroberung des amerikani- schen Kontinents - es blieben nur noch die Frauen: Costello hatte auf der Tour das Ex-Playmate Bebe Buell (die Mut-ter von Liv Tyler) kennen und lieben gelernt, was seine Ehe in arge Schwie-rigkeiten bringen sollte. „Living a life is alrnost like suicide." Aus der Notwendigkeit, sowohl dem eindimensionalen Image entkommen zu müssen (um nicht ganz von ihm auf-gesogen zu werden), als auch seine Schuld gegenüber der von ihm ver-leumdeten schwarzen Musik (die er ei-gentlich liebte) zu begleichen, entstand „Get Happyll". Costellos viel zitierter Satz aus einem frühen Interview mit NME-Schreiber Nick Kent, er schreibe seine Songs aus „revenge and guilt" -Vergeltung und Schuld - bekam eine völlig neue Dimension, ebenso wie sei-ne Musik. „Get Happy.!", die Vernei-gung vor schwarzer amerikanischer Mu-sik im Allgemeinen und Motown im Speziellen, bediente eine weitaus breite-re Gefühlspalette als seine ersten drei Alben und ist vielleicht Costellos bis heute bestes Album. Die Faszination für ameri-kanische Musik und die Rück-kehr zu seinen musikalischen Wurzeln zeigte sich danach auch auf„Allmost Blue", seiner lauwarmen Country-Co-ver-Platte, und „King Of America", der genia-len halbakustischen Countryfolk-Platte von 1986, die er größ-tenteils mit amerika-nischen Musikern wie James Burton, Jim Kelt-neu Jerry Scheff und dem Freund und Produzenten T-Bone Burnett aufnahm.

Auch das neue Al-bum, „The Delivery Man", ist deutlich in der amerikanischen Musik-tradition verwurzelt, spe-ziell in den Südstaaten der USA, weshalb wohl auch kurz-zeitig das Gerücht kursierte, das neue Album werde „South" heißen. Denn in den Süden gingen Costello und The Imposters, um „The Delivery Man"auf-zunehmen, In kürzester Zeit, live im „Sweet Tea"- Studio in Oxford/Ten-nessee und in einem kleinen Ra-diostudio in Clarksdale. Der gro-ße (Mersey?-/Mississippi?-)Del-ta-Blues-Man Elvis Costello? „Leute sind immer an dem interessiert, was weit weg ist. Viele der englischen



Gruppen in den 60ern wussten mehr über Rhythm & Blues und sogar Coun-try als viele Amerikaner - und das Glei-che gilt andersherum: Wenn man sich mal den Einfluss amerikanischer Künst-ler auf die britische Popkultur anschaut. Blondie etwa: Schau dir nur mal den Schlagzeuger Clem Burke an. Der sieht doch aus, als käme er direkt aus einer Mod-Band, auch heute noch. Es ist im-mer das, was weit weg ist, was einen fasziniert, etwas - ja: Exotisches."

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Für Costello scheint sich die Fas-zination für Exotisches nicht auf geo-grafische Entfernungen zu beschrän-ken. Seit Mitte der 80er Jahre arbeitete er in vielen für ihn zunächst fremden Genres, kooperierte mit Künstlern aus Jazz und Klassik, tauschte die Attrac-tions gegen das Brodsky Quartet und das gegen die Jazz Passengers oder die Mingus Big Band, statt das Nahelie-gende zu tun und wieder auf dem Ge-biet zu glänzen, auf dem er so erfolg-reich (und unschlagbar gut) war: dem atemraubenden Popsong, randvoll mit Melodien und punchlines. Sich immer wieder in neue, fremde Zusammenhänge zu werfen, neue Sti-le und Spielarten auszuprobieren, die- se Abenteuerlust unterscheidet ihn von eigentlich allen seiner Altersgenossen und hält ihn als einen der wenigen fern von Stereotypen und Ideenarmut. „Ich mache mit in der Regel keine großen Gedanken darüber, was als nächstes kommt", meint Costello, während er seine Brille putzt. „In den letzten Jah-ren hab ich gemerkt, dass die Band, immer wenn wir im Süden der USA spielten, eine spezielle Affinität zu der Musik entwickelte, die aus dieser Ge-gend kommt. Außerdem stammen



von dort jede Menge Songschreiber, die ich sehr mag und die meiner Meinung nach etwas unterbewertet werden, wenn Leute mal wieder diese Listen mit den größten Songschreibern aller Zeiten zu-sammenstellen: Willie Dixon, der fast alle großen Blues-Songs geschrieben hat, oder Dan Penn, von dem Sachen wie ,Dark End Of The Street' und ,You Left The Water Runnine stammen.

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Und es war in dieser Ecke von Amerika, wo erstmals Rythm & Blues und Hillbilly Music aufeinander trafen und -bang! - plötzlich hatten sie Rock'n'Roll. War doch so, oder?" Jetzt ist der Musikarchäologe und Fan Elvis Costello nicht mehr zu stoppen. „Wenn du dich dieser Musik auslieferst, diesen Sounds, den Gospel-Anleihen, die dü in einigen dieser Songs findest, den Rock'n'Roll-Rhythmen, die manchmal sehr verrückt sind, und den überraschend variablen Blues-Formen, die's da unten gibt, dann hast du eine interessante Mischung, die ein Geheimnis in sich birgt." Und das kann man auch als für ein paar Wochen Studiozeit angereister Engländer heraufbeschwören? „Diese Art von Musik ist ja nicht das exklusive Eigentum von den Leuten, die da unten leben, denn wir lieben sie genug und haben sie durch vie-le Jahre des Musikhörens so sehr absorbiert, dass auch wir sie spie-len können. Und die Probleme, mit denen die Leute dort kämp-fen, sind ja auch die gleichen wie überall auf der Welt. Als wir in Clarksdale waren, zum Beispiel: Ich meine, das ist natürlich eine sehr geschichtsträchtige Gegend da unten am Missisippi. Heut-zutage haben sie da nicht besonders viel Industrie oder so, und es ist sehr deprimierend dort. Aber nicht unähnlich der Heimatstadt meines Vaters, Birkenhead - eine kleine Stadt am Mersey, gegen-über von Liverpool. Dort hatten sie früher die Docks und so, jetzt ist alles heruntergekommen, und sie haben gar nichts mehr.

Clarksdale vermittelt das gleiche Gefühl ei-ner verlassenen Stadt wie Birkenhead. Das war mir vertraut." So heißt es dann auch in „Bedlam", einem herrlich rumpelnden Soul-funk auf „The Delivery Man": „It seemed a long way from my home but it really was no distance." „Es ist seltsam, wie einige The-men, die in den Texten vorkommen, dann auch Teil unserer Erfah-rungen wurden. Wo immer du auch hingehst, gibt es Dinge, die alle Menschen teilen, Unglücke und bestimmte Schicksale, die uns als Individuen und kollektiv betreffen. Ganz egal, wie sehr bestimmte Leute immer wieder versuchen, die politischen oder religiösen Unterschiede hervorzuheben. Es geht immer noch um Leben und Atmen und sich-Verlieben und Kinder kriegen und Kinder haben und sterben. Das sind nun mal die Sachen, die jedem ir-gendwann passieren."

eben dem musikalischen Kon-zept hat „The Delivery Man" noch ein narratives, an dem Costello schon seit 1999 immer mal wieder arbeitete. Das Album erzählt die Geschichte von drei Frauen und einem Mann namens Abel, dem delivery man. Alle drei Frauen haben sich in ihn ver-liebt: Vivian, die vermeintliche Lebe-frau, die ihrer Freundin Geraldine von ihren Eskapaden erzählt Geraldine, die Witwe, die ihren Mann im Krieg verlo-ren hat - eigentlich aber schon vorher, denn das Paar stand kurz vor der Tren-nung - und ihre jugendlicheTochter Ivy. Alle Protagonisten tragen ein dunkles Geheimnis mit sich herum.

Bei der Umsetzung dieser Geschich-te halfen Lucinda Williams und Em-mylou Harris, die bei jeweils einem Song den Part einer der weiblichen Charaktere übernehmen. Diese Figurenkonstellation verführt ein bisschen dazu, das ganze autobio-grafisch zu lesen: seine erste Frau Mary, die nicht merkte, dass sie ihren Declan schon lange an das Groupie Bebe Buell verloren hatte, und die viel jüngere Cait O'Riordan, für die Costello schließ-lich beide hinter sich ließ. Jetzt raten Sie mal, mit wem der delivery man am En-de durchbrennt. Na klar, mit der klei-nen Ivy. Nachdem Costello mir aller-dings kurz zuvor eindrucksvoll vor-




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Such unlikely lovers


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   Maik Brüggemeyer

Schon in den 80er Jahren begann Costello Kooperationen mit von ihm bewunderten Musikern verschiedenster Stilrichtungen (und Wendy James), die oft zu langjährigen Freundschaften führten






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Rolling Stone Germany, October 2004


In a 16-page Elvis Costello supplement:


Maik Brüggemeyer profiles Elvis Costello and reports briefly on his concert with The Imposters, Thursday, July 15, 2004, Avery Fisher Hall, New York.


Arne Willander and Maik Brüggemeyer update the Elvis Costello discography.


Graeme Thomson on how Stiff turned Declan MacManus into Elvis Costello.


Also includes a rundown of Elvis Costello collaborations, and some song highlights .


In the magazine:


Arne Willander reviews The Delivery Man and the Rhino/Edsel reissues of Almost Blue, Goodbye Cruel World and Kojak Variety.

Images

Page 16.Elvis Costello supplement.
Elvis Costello supplement cover and back page.

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