Rolling Stone Germany, October 2004: Difference between revisions
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"Man sollte sich nicht allzu viel daraus machen, dass die ersten Alben, die man macht, einen starken Eindruck bei den Leuten hinterlassen," meint Elvis Costello in einer der wenigen rückwärts gewandten Passagen unseres Interviews. Viel kriegt man über die alten Zeiten nicht zu hören, wenn man ihn darauf anspricht. Zunächst scheint er darauf einzugehen, doch im Nu ist er schon wieder bei den Ereignissen der letzten Tage. | "Man sollte sich nicht allzu viel daraus machen, dass die ersten Alben, die man macht, einen starken Eindruck bei den Leuten hinterlassen," meint Elvis Costello in einer der wenigen rückwärts gewandten Passagen unseres Interviews. Viel kriegt man über die alten Zeiten nicht zu hören, wenn man ihn darauf anspricht. Zunächst scheint er darauf einzugehen, doch im Nu ist er schon wieder bei den Ereignissen der letzten Tage. | ||
"Auch wenn man heute Leute fragt, nennen sie meist eines meiner ersten drei Alben als ihr Lieblingsalbum, oder Blood & Chocolate, weil es nach heutigen Rock 'n' Roll-Hörgewohnheiten am zugänglichsten ist. | "Auch wenn man heute Leute fragt, nennen sie meist eines meiner ersten drei Alben als ihr Lieblingsalbum, oder ''Blood & Chocolate'', weil es nach heutigen Rock 'n' Roll-Hörgewohnheiten am zugänglichsten ist." | ||
Das ist ja auch völlig okay, aber man sollte sich nicht selbst dadurch definieren und sich nicht von anderen Leuten, die eh keine Ahnung haben, erzählen lassen, alles, was man danach gemacht habe, sei nichts mehr wert. | "Das ist ja auch völlig okay, aber man sollte sich nicht selbst dadurch definieren und sich nicht von anderen Leuten, die eh keine Ahnung haben, erzählen lassen, alles, was man danach gemacht habe, sei nichts mehr wert." | ||
Die letzten drei Nächte haben gezeigt, dass es auch für all die unterschiedlichen Dinge, die ich jetzt tue, ein Publikum gibt," erkärt er ein bisschen stolz, ein bisschen trotzig. "Man kann ja nicht immer das Gleiche machen, man trägt ja auch nicht immer die gleichen Klamotten. Manchmal ziehe ich was Schwarzes an, manchmal was Buntes, heute trage ich eine Sonnenbrille, weil ich ziemlich müde bin von den Proben der letzten Tage und der ganzen Aufregung." Und einen Hut. Einen lilafarbenen. Dazu einen schwarzen Anzug und ein neongrünes Hemd mit rosafarbenem Muster. | "Die letzten drei Nächte haben gezeigt, dass es auch für all die unterschiedlichen Dinge, die ich jetzt tue, ein Publikum gibt," erkärt er ein bisschen stolz, ein bisschen trotzig. "Man kann ja nicht immer das Gleiche machen, man trägt ja auch nicht immer die gleichen Klamotten. Manchmal ziehe ich was Schwarzes an, manchmal was Buntes, heute trage ich eine Sonnenbrille, weil ich ziemlich müde bin von den Proben der letzten Tage und der ganzen Aufregung." Und einen Hut. Einen lilafarbenen. Dazu einen schwarzen Anzug und ein neongrünes Hemd mit rosafarbenem Muster. | ||
Auf dem Bett liegt, neben einem | Auf dem Bett liegt, neben einem Ukulele Kasten, ein lilafarbener Anzug und ein ebenfalls neongrünes Hemd mit rot-schwarz-gelbem Muster. | ||
Muster | |||
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Das ist wohl die Abendgarderobe. Durchaus angemessen, schließlich will Costello nach dem Interview in die Radio City Music Hall zum Elton John-Konzert gehen. Seit Elton Elvis und die Attractions 2003 in die Rock 'n' Roll Hall Of Fame einführte, scheinen die beiden äußerst gut befreundet, so fanden die Hochzeitsfeierlichkeiten von Costello und seiner (dritten) Frau, der Jazzsängerin Diana Krall, auf Elton Johns Anwesen in London statt. | |||
Die Krall scheint es auch zu sein, die unser Interview kurzzeitig stört, als Costellos Mobiltelefon piept — zumindest ist in den nächsten fünf Minuten am Ende jedes Satzes ein ''"my darling"'' zu vernehmen. Costello hatte den ganzen Nachmittag Fotos für die britische Presse machen müssen. Nach der langen Party zum erfolgreichen Ende der Konzertreihe hatte er bereits am Mittag ins Hotel gemusst. Während unseres Interviews gibt's die erste Mahlzeit — die ist natürlich kalt, nach dem Telefonat mit der Liebsten. "Diese drei Konzerte am Stück waren wirklich eine großartige Gelegenheit, auch wenn es natürlich viel Arbeit war in den letzten Tagen. Ich meine, das fällt ja mit meinem 50. Geburtstag zusammen, und statt ein großes Stück Kuchen zu essen, viel zu trinken und irgendwann schwermütig zu werden, so etwas wie diese Konzertreihe machen zu können und auch noch die Möglichkeit zu haben, statt einer nostalgischen Rückschau etwas vollkommen Neues wie ''Il Sogno'' und ''The Delivery Man'' aufzuführen, war fantastisch. Und dann noch hier in New York, wo ich jetzt die meiste Zeit wohne — wir haben hier ein Apartment und ein Haus in British Columbia — , das war ein schönes Willkommensgeschenk." | |||
Angekommen in "New Amsterdam" also. ''"New Amsterdam, it's become much to much,"'' heißt es in dem gleichnamigen Song, in dem Costello die Erlebnisse der drogendurchwirkten ''Armed Funk''-US-Tour mit seinen Attractions Ende der 70er verarbeitete. Der Song findet sich auf dem 1980er Album ''Get Happy!!'', auf dem sich erstmals seine zunächst zugunsten von Punk und Image verdrängte Begeisterung für amerikanische Musik Bahn brach. Anlass für diese Entwicklung war ein Vorfall in Columbus, Ohio, wo der Tourtross Halt gemacht hatte und man in der Hotelbar auf Stephen Stills und seine Band traf Costello, der zu dieser Zeit auch abseits der Bühne sein aggressives Image auslebte und den in zu kleine Jackets gepferchten Highsporn gab, geriet relativ schnell mit Stils aneinander. Zusammen mir Attractions-Bassist Bruce Thomas machte er sich in betrunkenem Zustand häufiger den Spaß, in aller Öffentlichkeit alberne Anti-Amerlanismen abzuschießen. "Wenn ihr uns so hasst, was macht ihr dann in unserem Land?" fragte Stills leicht verärgert. "Wir kommen, um euer Geld und eure Frauen zu holen," zischte Costello. "Und was ist mit unserer Musik?" — "Ihr habt keine gute Musik hier." "Und was ist mit James Brown?" Da war alles zu spät, Costello schimpf-te Brown einen ,jive-ass nigger", und auch Ray Char-les sei "nothing but a blind ignorant nigger." | |||
Er hätte wohl Ähnliches über Bruce Springsteen oder Don Henley gesagt, wenn Stills ihn nur da-nach gefragt hätte. Dummerweise waren aber die Beschimpften schwarz und Stills-Backgroundsän-gerin Bonnie Bramlett eine Tratschtante, die alles der Presse erzählte. "Wenn du eine Karriere darauf aufbaust, auf der Bühne Zorn und Wut zu verbrei-ten, egal, ob du nun wirklich wütend bist oder nicht, wirst du früher oder später Sachen sagen, die du nicht wirklich meinst", versuchte Costello seinen Ausfall spä-ter in einem Interview mit der ''New York Times'' zu erklären. ''"Twice shy and dog tired because you've been bitten / Everything you say now sounds like it was ghost-written,"'' heißt es in "New Amsterdam." | |||
''Armed Forces'' war bis dahin unaufhörlich die US-Charts hinaufgeklettert, doch nach diesem Zwischenfall war erstmal Schluss mit der Eroberung des amerikanischen Kontinents — es blieben nur noch die Frauen: Costello hatte auf der Tour das Ex-Playmate Bebe Buell (die Mutter von Liv Tyler) kennen und lieben gelernt, was seine Ehe in arge Schwierigkeiten bringen sollte. ''"Living a life is almost like suicide."'' | |||
Aus der Notwendigkeit, sowohl dem eindimensionalen Image entkommen zu müssen (um nicht ganz von ihm aufgesogen zu werden), als auch seine Schuld gegenüber der von ihm verleumdeten schwarzen Musik (die er eigentlich liebte) zu begleichen, entstand ''Get Happy!!''. Costellos viel zitierter Satz aus einem frühen Interview mit ''NME''-Schreiber Nick Kent, er schreibe seine Songs aus "revenge and guilt" — Vergeltung und Schuld — bekam eine völlig neue Dimension, ebenso wie seine Musik. ''Get Happy!!'', die Verneigung vor schwarzer amerikanischer Musik im Allgemeinen und Motown im Speziellen, bediente eine weitaus breitere Gefühlspalette als seine ersten drei Alben und ist vielleicht Costellos bis heute bestes Album. | |||
Die Faszination für amerikanische Musik und die Rückkehr zu seinen musikalischen Wurzeln zeigte sich danach auch auf ''Allmost Blue'', seiner lauwarmen Country-Cover-Platte, und ''King Of America'', der genialen halbakustischen Countryfolk-Platte von 1986, die er größtenteils mit amerikanischen Musikern wie James Burton, Jim Keltner Jerry Scheff und dem Freund und Produzenten T{{nb}}Bone Burnett aufnahm. | |||
Gruppen in den 60ern wussten mehr über Rhythm & Blues und sogar | Auch das neue Album, ''The Delivery Man'', ist deutlich in der amerikanischen Musik-tradition verwurzelt, speziell in den Südstaaten der USA, weshalb wohl auch kurzzeitig das Gerücht kursierte, das neue Album werde "South" heißen. Denn in den Süden gingen Costello und The Imposters, um ''The Delivery Man'' aufzunehmen. In kürzester Zeit, live im Sweet Tea Studio in Oxford, Tennessee und in einem kleinen Radiostudio in Clarksdale. Der große (Mersey?- / Mississippi?-) Delta-Blues-Man Elvis Costello? "Leute sind immer an dem interessiert, was weit weg ist. Viele der englischen Gruppen in den 60ern wussten mehr über Rhythm & Blues und sogar Country als viele Amerikaner — und das Gleiche gilt andersherum: Wenn man sich mal den Einfluss amerikanischer Künstler auf die britische Popkultur anschaut. Blondie etwa: Schau dir nur mal den Schlagzeuger Clem Burke an. Der sieht doch aus, als käme er direkt aus einer Mod-Band, auch heute noch. Es ist immer das, was weit weg ist, was einen fasziniert, etwas — ja: Exotisches." | ||
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Für Costello scheint sich die | Für Costello scheint sich die Faszination für Exotisches nicht auf geografische Entfernungen zu beschränken. Seit Mitte der 80er Jahre arbeitete er in vielen für ihn zunächst fremden Genres, kooperierte mit Künstlern aus Jazz und Klassik, tauschte die Attractions gegen das Brodsky Quartet und das gegen die Jazz Passengers oder die Mingus Big Band, statt das Naheliegende zu tun und wieder auf dem Gebiet zu glänzen, auf dem er so erfolgreich (und unschlagbar gut) war: dem atemraubenden Popsong, randvoll mit Melodien und punchlines. | ||
Sich immer wieder in neue, fremde Zusammenhänge zu werfen, neue Stile und Spielarten auszuprobieren, diese Abenteuerlust unterscheidet ihn von eigentlich allen seiner Altersgenossen und hält ihn als einen der wenigen fern von Stereotypen und Ideenarmut. "Ich mache mit in der Regel keine großen Gedanken darüber, was als nächstes kommt", meint Costello, während er seine Brille putzt. "In den letzten Jahren hab ich gemerkt, dass die Band, immer wenn wir im Süden der USA spielten, eine spezielle Affinität zu der Musik entwickelte, die aus dieser Gegend kommt. Außerdem stammen von dort jede Menge Songschreiber, die ich sehr mag und die meiner Meinung nach etwas unterbewertet werden, wenn Leute mal wieder diese Listen mit den größten Songschreibern aller Zeiten zusammenstellen: Willie Dixon, der fast alle großen Blues-Songs geschrieben hat, oder Dan Penn, von dem Sachen wie 'Dark End Of The Street' und 'You Left The Water Running' stammen. | |||
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Und es war in dieser Ecke von Amerika, wo erstmals Rythm & Blues und Hillbilly Music aufeinander trafen und — bang! — plötzlich hatten sie Rock'n'Roll. War doch so, oder?" Jetzt ist der Musikarchäologe und Fan Elvis Costello nicht mehr zu stoppen. "Wenn du dich dieser Musik auslieferst, diesen Sounds, den Gospel-Anleihen, die dü in einigen dieser Songs findest, den Rock'n'Roll-Rhythmen, die manchmal sehr verrückt sind, und den überraschend variablen Blues-Formen, die's da unten gibt, dann hast du eine interessante Mischung, die ein Geheimnis in sich birgt." Und das kann man auch als für ein paar Wochen Studiozeit angereister Engländer heraufbeschwören? "Diese Art von Musik ist ja nicht das exklusive Eigentum von den Leuten, die da unten leben, denn wir lieben sie genug und haben sie durch viele Jahre des Musikhörens so sehr absorbiert, dass auch wir sie spielen können. Und die Probleme, mit denen die Leute dort kämpfen, sind ja auch die gleichen wie überall auf der Welt. Als wir in Clarksdale waren, zum Beispiel: Ich meine, das ist natürlich eine sehr geschichtsträchtige Gegend da unten am Missisippi. Heutzutage haben sie da nicht besonders viel Industrie oder so, und es ist sehr deprimierend dort. Aber nicht unähnlich der Heimatstadt meines Vaters, Birkenhead — eine kleine Stadt am Mersey, gegenüber von Liverpool. Dort hatten sie früher die Docks und so, jetzt ist alles heruntergekommen, und sie haben gar nichts mehr. | |||
Clarksdale vermittelt das gleiche Gefühl ei-ner verlassenen Stadt wie Birkenhead. Das war mir vertraut." So heißt es dann auch in "Bedlam", einem herrlich rumpelnden Soul-funk auf "The Delivery Man": ''"It seemed a long way from my home but it really was no distance."'' "Es ist seltsam, wie einige The-men, die in den Texten vorkommen, dann auch Teil unserer Erfah-rungen wurden. Wo immer du auch hingehst, gibt es Dinge, die alle Menschen teilen, Unglücke und bestimmte Schicksale, die uns als Individuen und kollektiv betreffen. Ganz egal, wie sehr bestimmte Leute immer wieder versuchen, die politischen oder religiösen Unterschiede hervorzuheben. Es geht immer noch um Leben und Atmen und sich-Verlieben und Kinder kriegen und Kinder haben und sterben. Das sind nun mal die Sachen, die jedem irgendwann passieren." | |||
Neben dem musikalischen Kon-zept hat ''The Delivery Man'' noch ein narratives, an dem Costello schon seit 1999 immer mal wieder arbeitete. Das Album erzählt die Geschichte von drei Frauen und einem Mann namens Abel, dem ''delivery man''. Alle drei Frauen haben sich in ihn verliebt: Vivian, die vermeintliche Lebefrau, die ihrer Freundin Geraldine von ihren Eskapaden erzählt Geraldine, die Witwe, die ihren Mann im Krieg verloren hat — eigentlich aber schon vorher, denn das Paar stand kurz vor der Trennung — und ihre jugendlicheTochter Ivy. Alle Protagonisten tragen ein dunkles Geheimnis mit sich herum. | |||
Bei der Umsetzung dieser Geschichte halfen Lucinda Williams und Emmylou Harris, die bei jeweils einem Song den Part einer der weiblichen Charaktere übernehmen. | |||
Diese Figurenkonstellation verführt ein bisschen dazu, das ganze autobiografisch zu lesen: seine erste Frau Mary, die nicht merkte, dass sie ihren Declan schon lange an das Groupie Bebe Buell verloren hatte, und die viel jüngere Cait O'Riordan, für die Costello schließlich beide hinter sich ließ. Jetzt raten Sie mal, mit wem der delivery man am Ende durchbrennt. Na klar, mit der kleinen Ivy. Nachdem Costello mir allerdings kurz zuvor eindrucksvoll vor- | |||
Revision as of 00:23, 10 April 2024
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