Es war ein Schock - für Elvis Costello, seine Frau, die berühmte Jazz-Sangerin Diana Krall, seine Familie, aber auch für seine Fans. Anfang Juli 2018 gab der Musiker bekannt, dass bei ihm “eine kleines, aber extrem aggressives Krebsgeschwür gefunden wurde. Es sei zwar beseitigt, eine längere Erholung zwinge ihn aber zum Abbruch seiner Tournee. Die Sorge um den Briten, der zu den bedeutendsten Songschreibern des Pop zahlt, war gross (und ist es bei einer solchen Krankheit immer noch).
Umso erfreulicher, dass der Sänger und Gitarrist nun ein neues Album herausbringt, funf Jahre nach dem bislang letzten Studiowerk “Wise Up Ghost” mit der Hip-Hop-Band The Roots. Noch dazu ist es, nach einem Jahrzehnt, endlich mal wieder eine Platte mit seiner tollen Band The Imposters, von der ein Teil schon 1979 zu den legendären Costello-Begleitern The Attractions gehörte.
Selbstbewusst und kraftvoll
Das Allerbeste aber: “Look Now”, eben jenes Album nach der Krebs-Diagnose und damit ohnehin ein Comeback der besonderen Art, klingt so selbstbewusst und kraftvoll, dass man es unweigerlich als Statement gegen das Hässliche von schwerer Krankheit und Todesängsten wahrnimmt: Seht her, hier bin ich, Elvis Costello, 64 Jahre jung, auf der Hohe meiner Schaffenskraft, ohne Furcht.
Selbst ohne diesen ernsten Hintergrund wäre die Platte aber eine von Costellos stärksten. Und das will schon etwas heißen bei einem Songwriter, der sich seit seinen Anfängen im Punk der 70er-Jahre mit einem Dutzend unterschiedlichster Großwerke zu einem hoch respektierten Meister aller Klassen entwickelt hat: New Wave, Rock, Soul, Country, Kunstlied - das sind nur einige der Stilschubladen, die der 1954 als Declan Patrick MacManus geborene Mann mit der Hornbrille ausgiebig erforscht hat. Und immer wieder wunderschöne Balladen ohne Verfallsdatum.
Auch “Look Now” hat in vieler Hinsicht etwas zeitlos Klassisches, ohne - wie etwa Costellos umstrittene Kammermusik “The Juliet Letters” von 1993 - konkrete Anleihen bei der “ernsten” Klassik zu nehmen. Einige Lieder verfasste der Londoner zusammen mit zwei Giganten des Pop- Songwritings: Carole King (“Tapestry”) war schon vor längerer Zeit am jetzt endlich veröffentlichten “Burnt Sugar Is So Bitter” beteiligt, der inzwischen 90-jährige Burt Bacharach sogar an drei aktuellen Stücken.
Der bis heute auf der Bühne höchst agile US-Komponist gilt als “King of Easy Listening” - ein Ehrentitel, der die Raffinesse seiner zahllosen WeltHits (von “Make It Easy On Yourself” über “I Say A Little Prayer” und “Raindrops Keep Falling On My Head” his “That’s What Friends Are For”) deutlich untertreibt. Mit Bacharach arbeitete Costello schon von 20 Jahren beim Grammy-dekorierten “Painted From Memory” zusammen - und die entspannte Stimmung dieser Kooperation zweier fabelhafter Songwriter verschiedener Generationen strahlt nun auch “Look Now” aus.
Anmutige Melodien
Natürlich hört man das auf den gemeinsamen Songs “Don’t Look Now”, “Photographs Can Lie” und “He’s Given Me Things”. Aber Costello lasst auch mit solo geschriebenen Tracks wie “Stripping Paper”, “I Let The Sun Go Down”, “Suspect My Tears” und “Why Won’t Heaven Help Me?” erkennen, wie stark ihn Bacharachs anmutig-melodiesatter Soul-Pop der 60er-Jahre beeinflusst hat.
Den musikalischen Background liefern die Imposters - Steve Nieve (Keyboards), Davey Faragher (Bass) und Pete Thomas (Schlagzeug) - gewohnt großartig, hinzu kommen stilsichere Streicher - und Bläser - Arrangements. Und Costellos Gesang? Der ist bekanntlich Geschmackssache, und manchmal klang seine Stimme früher ja auch arg überdehnt. Dieses Mal ist es anders: So lassig und unangestrengt wie auf dem in einigen der besten US-Studios aufgenommenen “Look Now” hat der Brite wohl noch nie gesungen.
Gedanken an die Sterblichkeit
In seinem Krebs-Statement teilte Costello auch mit, er habe Glück gehabt - der Tumour sei mit einer Operation entfernt worden. Davor sei es angesichts der Gedanken an die eigene Sterblichkeit “ein bisschen merkwurdig” gewesen, manche neue Lieder einzusingen, bekannte der Musiker jetzt im Magazin “Mojo” - etwa die Zeile “Allow me to dictate my dying will” (Erlaub mir, meinen letzen Willen zu diktieren) im Album-Opener “Under Lime”.
Und Costello fugte angesichts seiner Grenzerfahrungen hinzu: “Es gibt keinen besseren Grund, als hellwach fur die Gegenwart zu sein. “Mit der wunderbaren, ganz ohne Selbstmitleid auskommenden Platte “Look Now” hat er ein starkes, trotziges Zeichen gesetzt.
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