Süddeutschen Zeitung, September 13, 2013

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"Der Wink in die Zukunft"


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Jörg Feyer

Auf seinem neuen Album "Wise Up Ghost" arbeitet Elvis Costello mit den Hip-Hoppern von The Roots zusammen. Ein Etikettenschwindel?


Ein Drummer, der von einem Schlagzeughersteller seinen eigenen Signature Stick gewidmet bekommt, hat es geschafft. So wie Ahmir Thompson, Rufname "Questlove", von der Band "The Roots": Die US-Firma "Vic Firth" fertigt seit einiger Zeit einen Stock nach seinen Wünschen - natürlich auch, um mit seinem Namen ein paar Exemplare an diejenigen zu verkaufen, die dem 1-Meter-93-Riesen und Soul-Hip-Hop-Superstar nacheifern.

Der Wuchtigkeit des Mannes entsprechen die Hölzer übrigens nicht ganz, es sind eher leichtere Modelle. Am Griff-Ende haben sie die spezielle Anti-Rutsch-Beschichtung, die einer wie Questlove auch benötigt. Damit die Sticks ihm nicht aus den Händen gleiten, wenn er sie beim Trommeln mit nur drei Fingerspitzen hält.

Der 42-jährige Drummer, DJ, Produzent und Buchautor tanzt nur so über die Felle und Becken. Und hat so einen Stil etabliert, der - so genau er auf den Punkt gespielt auch ist - immer auch einen Hauch von Schlampigkeit evoziert. Es ist ein Groove, der seit der Jahrtausendwende ganz neue R'n'B-Helden wie D'Angelo und Erykah Badu ebenso trug wie ganz alte - dem großen Al Green gelang 2008 mit Questlove und "Lay It Down" sein bestes Album seit Ewigkeiten. Es ist ein Beat, an dem jetzt auch Elvis Costello nicht vorbeikommt, auf "Wise Up Ghost", seinem neuen Album mit The Roots. Oder ist die Kennzeichnung schon ein Etikettenschwindel?

Überraschend kann diese Kollaboration nur finden, wer einerseits das abenteuerlich breit gestreute Werk des 59-jährigen Costello - der gerade bei Apple in Cupertino zur Präsentation des neuen iPhone auftrat - immer noch auf New-Wave-Renitenz reduziert. Und andererseits die Band aus Philadelphia für irgendeine Hip-Hop-Truppe hält, die zufällig auch ein paar Instrumente ganz passabel spielen kann.

Ein Zweifler und Mahner

2011 jedenfalls saß Questlove beim Costello-Konzert im New Yorker Beacon Theatre als Gast hinterm Schlagzeug für "Black And White World", einem Song vom Album "Get Happy!!", mit dem der Engländer 1980 erstmals klassische Soulmusik an sich gerissen hatte - damals noch eher als Fan und noch nicht mit dem zuweilen etwas anstrengenden Musikologen-Gestus, der seine späteren Genre-Reisen prägte. Schon 2009 hatten The Roots ihm assistiert, als Hausband in Jimmy Fallons Late-Night-Show, als Costello dort seinen, tja, New-Wave-Kracher "I Don't Want To Go To Chelsea" vortrug. Der freilich schon 1978 verschlungener groovte als fast alles andere damals.

Questlove, gemeinsam mit Roots-Sounddesigner Steven Mandel die treibende Kraft und ordnende Hand hinter "Wise Up Ghost", hatte zuerst nur nach Costellos Okay für einen Roots-Remix älterer Elvis-Songs angefragt. Was die perfekte Ouvertüre war, da der Sänger in der daraus erwachsenden Zusammenarbeit immer wieder nach der Wiederentdeckung und Fortschreibung seiner eigenen Geschichte zu suchen schien.

Man findet sie gleich auf dem fertigen Album: So nimmt das dunkle "Stick Your Tongue" den Refrain von "Pills & Soap" auf, das 1983 im Original von Grandmaster Flashs Rap-Pionierstreich "The Message" inspiriert war. Und "Cinco Minutos Con Vos", mit einer Gastrolle für die Latin-Sängerin La Marisoul, spiegelt in einer Geschichte um Entführung und Tod eines argentinischen Vaters unmittelbar den Costello-Klassiker "Shipbuilding" wider, der 1982 die Working-Class-Agonie nach dem britischen Falkland-Krieg in eine seiner elegischsten Melodien goss.

Die Quintessenz dieses Zeitsprungs nach England ist, dass auch nach dem Tod Thatchers, jener Frau, die Costello 1989 zu seinem bis heute schönsten Hass-Lied "Tramp The Dirt Down" inspirierte, vieles, wenn nicht alles gleich geblieben ist.

"There must be something better than this", grummelt er in "Wake Me Up" und pflanzt dazu ein paar spitze Riffs in den relaxten Groove. Der Part des eher zurückgenommenen Zweiflers und Mahners steht Costello gut - und erstickt im Bezugsgeflecht von Dub- und Jazz-Schnipseln, Philly-Soul-Flair, Streichern und Siebziger-Funk auch sein gefürchtetes Stimm-Tremolo. Selbst "Tripwire", eine einzige, großartig vergossene Träne über die (Beziehungs-)Apokalypse, verkneift sich jeden Manierismus. Fast so, als wolle der Sänger dem Backbeat nicht in die Quere kommen.

Als Hommage an Allen Ginsbergs Gedichtband "Howl And Other Poems" aus dem Jahre 1956 holt auch das typografisch-schlichte Schwarzweiß-Cover von "Wise Up Ghost" historisch weit aus. Was dann auch wie ein rührender Versuch anmutet, der Musik wieder eine Relevanz zu geben, die sie vermeintlich eingebüßt hat. Ein neues "What's Going On", Marvin Gayes Soul-Widerstandsruf von 1971, ist "Wise Up Ghost" bei allem soziopolitischen Gestus aber nicht geworden.

Was heute so läuft, das ist ja einerseits kaum noch die Frage wert, die Gaye damals stellte - und dennoch, trotz Transparenzgeschwafels, undurchsichtiger denn je. So ist das Großartige an "Wise Up Ghost", dass sich Costello nicht scheut, auch geballte Ohnmacht zu formulieren, wie im leisen Finale von "If I Could Believe". Im schlimmsten Fall spricht auch nichts dagegen, die ganze Skepsis auch einfach mal wegzutanzen mit dem ansteckenden Off-Beat des Lead-Tracks "Walk Us Uptown".

Und was war da mit dem Etikettenschwindel? Nun, den eingefleischten Fans behagt es nicht unbedingt, dass auf der Platte zwar The Roots draufsteht, aber die essenzielle Stimme der Band, der Rapper Taric "Black Thought" Trotter, gar nicht dabei ist. Während sich Elvis Costello hingegen mit "Refuse To Be Saved" auch mal als Halb-Rapper versucht. Und was steht rechts unten auf dem Cover? Genau: "Number One".

Denn "Wise Up Ghost" ist bei allem Vergangenheitsbezug auch ein work in progress, ein Wink in die Zukunft. Vielleicht spielt Questlove bei Nummer zwei dann ja auch das neue, nach ihm benannte Drumkit. Das wurde ihm gerade von der Traditionsmarke Ludwig spendiert. Es ist genauso zierlich wie seine Sticks.

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Süddeutschen Zeitung , September 13, 2013


Jörg Feyer reviews Wise Up Ghost.


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