Wiener Zeitung, November 3, 2018

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Pop/Rock/Jazz
Interview

"Wir stammen alle von woanders"


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Der britische Musiker Elvis Costello im Interview über sein neues Album "Look Now", Burt Bacharach und den Brexit.

Nach seinem letzten, gemeinsam mit der US-HipHop-Band The Roots aufgenommenem Album "Wise Up Ghosts" hatte man Elvis Costello schon einmal laut übers Schlussmachen nachdenken gehört. Doch siehe da: Nur fünf Jahre später ist der britannische Vorzeigesongwriter der Generation New Wave mit einem neuen Longplayer zur Stelle. Nicht mit seinem schlechtesten, so viel ist sicher.

"Look Now" (Universal), Costello-Opus 31, hat der 64-jährige Sänger/Gitarrist wieder mit den Imposters aufgenommen, seiner angestammten Begleitformation The Attractions minus dem ungeliebten, 2002 endgültig von Bord gegangenen Bassisten Bruce Thomas. "Ich wollte ein unmittelbares Album machen", erklärt der äußerst freundliche Costello im Interview. "Und diese Unmittelbarkeit erforderte Erfahrung und das gegenseitige Vertrauen, nicht zu viel zu spielen, sondern hineinzuhören, was ein Song sagt."

Nur nicht wiederholen!
Das Sound-Design hatte Costello vorab im Koordinatenfeld seines 1982er-Klassikers "Imperial Bedroom" und "Painted From Memory", seiner Kooperation mit Burt Bacharach aus 1998, veranschlagt. Das entspräche praktisch einem Querschnitt seines Werks, dessen Hauptcharakteristika einerseits sein (zu)packendes Songwriting - wie in "Imperial Bedroom" repräsentiert - und andererseits seine musikalischen Wurzelforschungen - wie in "Painted From Memory" in Szene gesetzt - sind.

Im Interview relativiert Costello aber: "Diese zwei Platten habe ich zur Orientierung der Leute genannt. Das heißt aber nicht, dass wir irgendetwas wiederholen. Ich wollte nur nicht, dass die Leute erwarten, dass das Album wie "This Years’s Model", "Brutal Youth" oder auch "National Ransom" klingt - Platten mit sehr spezifischen Sounds, Stimmungen und Dynamiken. Diesmal wollte ich uns als Band die Möglichkeit geben, alle Arten von Stimmungen und Dynamiken auszuloten. Das ist eine Möglichkeit, die wir live recht selten kriegen. Eines dieser seltenen Male war übrigens vor ein paar Jahren beim Jazzfest Wien in der Oper."

Tatsächlich präsentiert "Look Now" eine vielfältig-stimmige Auswahl an Musiksprachen, derer sich der künstlernämliche Elvis mit dem bürgerlichen Namen Declan MacManus seit seinem Debütalbum "My Aim Is True" von 1977 bedient hat. In Songs wie "Unwanted Number", dem beschwingten, gemeinsam mit Carole King geschriebenen "Burnt Sugar Is So Bitter" und besonders "Under Lime" lebt in temperierter Form der Pop-Klassiker Costello auf, der seinerzeit eingängig-smarte Songs wie "Less than Zero" oder "Accidents Will Happen" scheinbar nach Belieben aus dem Ärmel zu schütteln vermochte.

"Stripping Paper" oder "I Let The Sun Go Down" rufen Erinnerungen an eindringliche Balladen wie "Shipbuilding" wach. Late-Night-Jazz-Feeling, dem Costellos brüchige Stimme vorzüglich ansteht, atmen dagegen jene drei Songs, die Costello wieder mit Burt Bacharach geschrieben hat. Bei "Don’t Look Know" und "Photographs Can Lie" stellte sich der 90-jährige Komponist, der den Schlager in den Rang hoher Kunst erhoben hat, überdies den Imposters als Bandleader zur Verfügung. "Ich dachte nie, dass ich das je erleben würde: Burt führt die Imposters vom Klavier aus und ich singe dazu live im Studio", schwelgt Costello.

So beeindruckend versatil Costellos musikalische Arbeit auch ist, so unvollständig wäre sein Oeuvre ohne seine Texte. Auch hier hat Costello eine Vielfalt von Formen im Köcher: Sarkastisch, bisweilen zynisch und mit Detailwitz begleitet er politische Phänomene und Probleme, Beziehungsangelegenheiten und nicht zuletzt die Trends und Aufreger der Zeit.

Costellos ureigene Stärke liegt aber im Erzählen von Geschichten. Das zeigt sich auf seiner neuen Platte am schönsten im Opener "Under Lime". Der Titel spielt mit unterschiedlichen Konnotationen des Wortes "lime", das unter anderem den Kalk meinen kann, den man in Massengräbern über die Toten schüttete, die Limette als beliebten Bestandteil alkoholischer Cocktails oder die Lime Grove Studios der BBC in den 50er Jahren, die sich Costello als Ambiente für den Song vorgestellt hat. "Es geht um einen älteren, etwas abgewrackten Entertainer und eine idealistische junge Frau auf engem Raum. Nicht ganz ungefährlich für sie, denn er hat solche Situationen früher gerne für sich ausgenützt. Wir hören ihn mit seinem Gewissen ringen, und wir hören sie überlegen, ob er wirklich ihre Zuneigung wert ist oder ob sie ihn besser meiden sollte."

Ein Kommentar zum Brexit
Da Costellos Autobiographie "Unfaithful Music" manches schamhafte Eingeständnis von Willfährigkeit gegenüber den Verlockungen des Starruhms enthält, könnte man bei diesem Szenario natürlich auf Gedanken kommen. "Ich habe solche Situationen schon miterlebt", erzählt Costello, "aber ich habe das Setting verändert. Und was ich hier auf jeden Fall vermeiden wollte, war eine Wertung. Die ist den Hörern überlassen."

"I Let The Sun Go Down" wiederum könnte als Kommentar zum Brexit verstanden werden. "Ich schrieb das vor fünf Jahren", dementiert Costello. "Diese Idee, sich über eine Flagge oder Nation zu definieren, hat mich mein ganzes Leben befremdet. Vielleicht, weil ich selbst kein ,ganzer‘ Engländer, sondern teilweise irischen Ursprungs bin. Wir alle stammen von irgendwo anders her als von dort, wo wir leben."


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Wiener Zeitung, November 3, 2018


Wiener Zeitung interviews Elvis following the release of Look Now.

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Wortspiele und Zeitkommentare: Elvis Costello hat ein neues Album herausgebracht
Photo credit: James O'Mara.

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