Bieler Tagblatt, November 12, 2018

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Elvis Costello

Endlich hat er
das Puzzle gelöst


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   Rudolf Amstutz

Mit seinem neuen Album unterstreicht Elvis Costello, weshalb er zu den brillantesten Singer/Songwritern der Gegenwart gehört. "Look Now" ist an Tiefe, Komplexität und Eleganz
kaum zu übertreffen: Popmusik in Vollendung.

Wenn es einen Künstler gibt, der sich der Vergangenheit stur verweigert, dann Elvis Costello. Wiederholungen sind ihm ein Gräuel, und die Geschichte existiert in seinen Liedern nur in der Komplexität seiner Arrangements, in denen er mit Reminiszenzen immer wieder auf die grossen Errungenschaften populärer Musik verweist: Jazz, Folk, Country, Soul, R’n’B, Rock’n’Roll, verpackt in wundersame Melodien und fein austarierte Harmonien, haben die letzten vier Jahrzehnte dieses Mannes geprägt, der zweifellos zu den brillantesten Singer/Songwritern der Gegenwart gehört.

Verweise auf das eigene Werk sucht man dabei allerdings vergebens. Vielleicht gab auch deshalb der Titel seiner letztjährigen Tournee Anlass für Spekulationen, nannte er sie doch "Imperial Bedroom & other chambers"-Tour und verwies dabei auf sein eigenes, 1982 mit The Attractions eingespieltes Album "Imperial Bedroom".

Er hat die Songs noch einmal
 unter die Lupe genommen
Die Platte war für Costello eine Zäsur in seiner Karriere. Der zuvor unbändige, sich stets querstellende Rocker mit Punk-Attitüde outete sich mit diesem Werk als hoch talentierter Komponist allerfeinster Popmusik. Ausgeklügelte Arrangements und tiefgründige Texte verbanden sich zu einem Meisterwerk, von dem viele bis heute behaupten, es sei Costellos bestes Album.

Es wäre also naheliegend gewesen, mit den alten Songs live ein Publikum zu beglücken, das am liebsten seine eigenen Erinnerungen beklatscht. "Oh, Gott. Nein!", versichert Costello lachend am Telefon. "Das war nie die Absicht. Als wir damals mit diesen Songs auf Tournee gingen, realisierten wir schnell, dass das Album live nicht funktionierte. The Attractions waren damals ungeduldig und so liessen wir die Songs fallen und gingen weiter. Ich wollte diese Songs noch einmal unter die Lupe nehmen, sie radikal neu arrangieren, sodass die Texte von damals adäquat und zeitgemäss spürbar werden."

Wo einst Hoffnungen existierten, regiert nun die Angst vor Verlust
Diese Konzerterfahrung mit seiner Band The Imposters, die sich allerdings von The Attractions nur durch einen neuen Bassisten unterscheidet, führte letztlich zum neuen Album "Look Now". War "Imperial Bedroom" inhaltlich eine Auseinandersetzung mit den Problemen, Zwängen, Hoffnungen und Träumen junger Menschen, besingt er auf "Look Now" erneut Psychogramme verunsicherter Charaktere, doch nun aus anderer Perspektive. Wo einst noch Hoffnungen existierten, regiert nun die Angst vor Verlust. "Wie betrachten sich Menschen gegenseitig? Wie verhalten sie sich einander gegenüber? Sind sie ehrlich oder verbergen sie die Wahrheit? Die Songs drehen sich um diese Dinge", erklärt Costello den Grund, weshalb er dem Album den Titel "Look Now" gab und fügt dann gleich auch noch an: "Der Titel will auch sagen: Hey, schaut, wir sind wieder da! Immerhin sagte ich mal, dass The Imposters nie mehr ein Album machen würden. Aber die Zeiten ändern sich. Jetzt ist es wohl das kooperativste Album geworden, das ich je gemacht habe."

Der Geist von Lennon/McCartney und von Brian Wilson
Mit "Look Now" hat Costello in der Tat die "anderen Kammern" geöffnet, die er im Titel der letztjährigen Tournee angedeutet hat. Das Album verströmt den Geist von Lennon/McCartney ebenso wie jenen von Brian Wilson. Das Instrumentarium ist erlesen und reicht von Farfisa-Orgeln bis hin zu Streichern und Holzbläsern. Eine Platte, die einmal funky und soulig Zweisamkeiten hörbar macht, um dann wieder mit spärlichem Piano die Einsamkeit zu vertonen.

Zwei Songs hat er mit Burt Bacharach geschrieben, einen mit Carole King. Es sind abgründige Texte, die einmal mehr unterstreichen, dass Costello in der Lage ist, die Tiefe und Breite eines ganzen Romans auf drei Minuten zu kondensieren.

Auf "Look Now" vermählen sich diese Geschichten mit Arrangements, die in ihrer Vielschichtigkeit selbst in Costellos Werk ihresgleichen suchen. "Mit Pianist Steve Nieve und Drummer Pete Thomas spiele ich nun mittlerweile vierzig Jahre zusammen. Wir sollten also langsam wissen, wie es funktioniert", sagt Costello und lacht.

Jedes neue Werk
ist die Summe aller Erfahrungen
Er ist hörbar zufrieden mit dem Resultat. "Es ist wichtig, dass man einander zuhört. Gemeinsam haben wir es geschafft, für jeden Song das richtige Gefühl zu entwickeln. Das bedurfte einer intensiven Auseinandersetzung mit den Texten und sehr vielen Proben im Vorfeld der Aufnahmen. Wir gingen nicht einfach ins Studio und hofften, etwas Magisches würde geschehen."

Am Ende ist jedes neue Werk auch immer die Summe aller Erfahrungen und keiner kann Costello besser beurteilen als er sich selber. Das demonstrierte er eindrücklich mit seiner 2015 erschienenen Autobiografie "Unfaithful Music & Disappearing Ink", in der er seine Wortgewandtheit prosaisch nutzte, um sich selber im Spiegel zu betrachten.

Das fehlende Teil hat ihn verfolgt – nun hat er es gefunden
Mit "Look Now" hat er nun – wie er selber sagt – "endlich das Puzzle gelöst", dessen fehlendes Teil ihn seit "Imperial Bedroom" verfolgte. Natürlich haben ihm dabei die unzähligen Kollaborationen der letzten Jahre geholfen – die Zusammenarbeit mit Burt Bacharach, mit The Roots, Allen Toussaint, Anne Sofie von Otter oder jene mit dem Brodsky Quartet. Costello erwähnt sie alle im Gespräch und fügt dann am Ende hinzu: "Ich hatte auch schon 1978 viele dieser musikalischen Ideen im Kopf. Nur war ich damals nicht in der Lage, sie mitzuteilen."

Jetzt sind sie alle hörbar geworden.

Info: Elvis Costello & The Imposters: "Look Now" (Concord/Universal).


Tags: Look NowImperial BedroomThe AttractionsThe ImpostersPaul McCartneyJohn LennonBrian WilsonBurt BacharachCarole KingSteve NievePete ThomasUnfaithful Music & Disappearing InkThe RootsAllen ToussaintAnne Sofie von OtterThe Brodsky Quartet

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Bieler Tagblatt, November 12, 2018


Rudolf Amstutz reviews Look Now.

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2018 Shore Fire Media EC photo 02 James O'Mara.jpg
Photo credit: James O'Mara.

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