Bieler Tagblatt, July 5, 1999

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MONTREUX JAZZ FESTIVAL: MARIANNE FAITHFULL UND ELVIS COSTELLO

Von Vagabunden und ihren Liedern


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   Rudolf Amstutz

Zum Auftakt des 33. Montreux Jazz Festivals zwei grossartige Stimmen auf der Bühne des Auditoriums: Marianne Faithfull und Elvis Costello..

Montreux Jazz Festival: Marianne Faithfull und Elvis Costello

"I drink and I take drugs. I love sex and I move around a lot": Marianne Faithfull übt sich auf ihrem neuen Album "Vagabond Ways" und am Samstagabend auf der Bühne des Auditorium Stravinsky in Selbstbildnissen. Sie hat die Sechziger überlebt und die Siebziger überstanden. Und wenn sie mehr schlecht denn recht durch die Achtziger getorkelt ist, so ist nun am Ende des Jahrtausends doch eine Ikone aus ihr geworden, die mit schamloser Offenheit ihre Vergangenheit in Liedern skizziert. Man möge sie ob ihrer Lebensweise nicht entmündigen, singt sie in obigem Lied weiter. Eine Diva bittet um Gnade, obwohl sich niemand um eine Anklage bemüht.

Während andere Sixties-Grössen ohne schlechtes Gewissen Wohlstandsbäuche über die Bühnen dieser Welt schleppen und nostalgische Selbstbeweihräucherungen zelebrieren, kämpft Faithfull mit dem Los der Künstlerin, die sich selbst permanent in Frage stellt. Sie ist sich bewusst, dass erst dieser Lebenswandel, den sie in "Vagabond Ways" zur Beichte verdichtet, ihr den kommerziellen Erfolg beschert hat. Ihre malträtierte Stimme erscheint als aufrechte Zeugin der Inhalte, die sie besingt. Und wenn Faitfull nebst dem neuen Material auch die grossen Kapitel ihrer Geschichte zitiert, "The Ballad Of Lucie Jordan" etwa, oder der Jagger/Richards-Song "As Tears Go By", der ihr einst noch mit engelhafter Stimme den ersten Erfolg bescherte, so tut sie dies in völliger Abwesenheit nostalgischer Anflüge. Ihre Greatest-Hits-Kollektion untermauert die ehrlichen Bekenntnisse ihres aktuellen Materials.

Dass sie sich mit "Tower Of Song" Leonard Cohens Selbstironie ausgeliehen hat, zeigt ihr ambivalentes Verhältnis zum Image der Diva wider Willen. Sie bügelt an diesem Konzert selbst jenen Fehler aus, der ihr bei den Aufnahmen zur neuen Platte unterlaufen ist. Dort bat sie den Gitarristen Daniel Lanois um Unterstützung. Lanois, der sich als Weichzeichner einen Namen gemacht hat, tunchte die scharfen Skizzen in wässriges Aquarell. Faithfull's Band unter der Führung ihres langjährigen Begleiters und Gitarristen Barry Reynolds kontert in Montreux mit messerscharfen, aber zurückhaltenden Klängen. Am Ende siegt die Stimme, deren Klang in allen Facetten ein Leben offenbart, das wie kaum ein anderes die Höhen und Tiefen einer Pop-Ikone vereint. Marianne Faithfull ist ganz nahe an Billie Holiday oder Edith Piaf und ihre Stimme scheint das klangliche Äquivalent zum wie in Stein gemeisselten Antlitz eines Keith Richards.

Der andere grosse Interpret, der an diesem ersten Wochenende in Montreux für einen Glanzpunkt besorgt war, hat die ikonenhafte Grösse einer Faithfull noch nicht erreicht. Immerhin: er hat mit Tony Bennett gesungen und Frank Sinatra wäre vielleicht sein nächstes Ziel gewesen. Die schier unendliche Coolness amerikanischer Entertainer hat es ihm angetan. Als proletarischer Brite, der einst mit New Wave und harschen politischen Inhalten zum Star avancierte, flirtet er immer wieder mit amerikanischen Pop-Identitäten: Country, Rock'n'Roll und Motown paaren sich mit europäischen Inhalten zu mitunter schwer nachvollziehbaren Kombinationen. Und wenn es Costello auf seinem Ritt durch die stilistische Prärie zu bunt wird, lässt er regelmässig ein in seiner simplen Form bestechendes Pop-Album folgen.

Nun ist er mit seinem langjährigen Attractions-Kumpel Steve Nieve auf Tournee. Eine kammermusikalische Besetzung, einzig Piano und Gitarre. Und Costello wagt in dieser Kleinstbesetzung den Spagat zwischen Pubrock und Las Vegas, zwischen Kabarett und Jazz. Dass er ein begnadeter Songschreiber ist, scheint oft in seinen musikalischen Eskapaden unterzugehen. Deshalb stellt Costello nun jenes Element in den Mittelpunkt, das in all den Jahren sein Gesamtwerk zusammengehalten hat: seine Stimme.

Mit dem Easy-Listening-Papst Burt Bacharach hat er sein aktuelles Werk "Painted From Memory" eingespielt und seinen Songs wuchtige symphonische Arrangements entgegengestellt. Jetzt entrümpelt er sie wieder, zersetzt sie mit Zitaten aus der eigenen Vergangenheit, outet sich als einer, der die amerikanische Kultur über alles liebt und mimt den Crooner genau so wie den Stand-up-Comedian. Zusammen mit Nieve gelingt es ihm an einem wunderbaren Konzert, Songs wie "Watching The Detectives" und "This House Is Empty Now" zu einem durchkonstruierten Songbook zusammen zu fügen. Costello scheint den Einband für seine bislang losen Tagebuchseiten gefunden zu haben: "Vagabond Ways" - nur mit gänzlich andersartigen Vorzeichen.


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Bieler Tagblatt, July 5, 1999


Rudolf Amstutz reviews Elvis Costello and Steve Nieve on Friday, July 2, 1999, Montreux Jazz Festival, Auditorium Stravinski, Montreux, Switzerland.


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