SPIEGEL ONLINE:
Mr. Costello, ein amerikanisches Musikmagazin hat über "When I Was Cruel" geschrieben: "Elvis Costello geht aus der Midlife-Krise mit seinem besten Album seit langem hervor"; mussten Sie in der Tat für dieses Album erst eine Krise überwinden?
Elvis Costello: Was diese Leute so schreiben. Ich habe mich in den letzten Jahren ganz sicher in keiner Krise befunden, im Gegenteil, in dieser Zeit hatte ich mit den verschiedensten Musikstilen und mit den unterschiedlichsten Künstlern die schönsten Erlebnisse, die sich ein Musiker nur wünschen kann. Der einzige Unterschied zu heute ist, dass ich damals darauf verzichtet habe, laut Gitarre zu spielen. Das verneint aber die Arbeit, die ich beispielsweise mit der Italian Dance Company gemacht habe, in keiner Weise.
SPIEGEL ONLINE: An lauten Gitarren mangelt es "When I Was Cruel" sicher nicht, das Album scheint gleichsam mit der Tür ins Haus zu fallen, während Ihre letzten Arbeiten die Hörerschaft eher höflich eingeladen haben...
Costello: Das kann man durchaus so sagen. Die Musik, die ich zum Beispiel mit der Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter gemacht habe, sollte den Zuhörer in eine Welt einladen, die wir neu geschaffen hatten. Der Tonfall dieser Musik war sehr sanft, sehr zärtlich. Komischerweise muss man ein Publikum darauf mehr vorbereiten als auf ein lautes, raues Album wie "When I Was Cruel".
SPIEGEL ONLINE: Befürchtete der einstige Punk-Rocker Elvis Costello zwischen Jazz und Kammerpop, zwischen Oper und Cameo-Auftritten in Filmen wie "Austin Powers" seine Identität zu verlieren?
Costello: Nein, das war ganz sicher nicht der Grund für "When I Was Cruel". Ich hatte nicht das Gefühl, der Welt etwas beweisen zu müssen, indem ich nun krampfhaft versuchen würde, das Gegenteil von dem zu machen, was ich in den letzten sechs, sieben Jahren getan habe. Ich verspürte einfach wieder Lust, laut und mit viel Energie Gitarre zu spielen. Also habe ich mir meine elektrische Silvertone-Gitarre geschnappt, dazu einen 15-Watt-Verstärker und eine billige Beatbox für Kinder mit großen orangefarbenen Knöpfen und habe angefangen, die neuen Songs zu schreiben.
SPIEGEL ONLINE: Viele der neuen Songs scheinen aus einer sehr wütenden und zornigen Stimmung heraus entstanden zu sein...
Costello: Ich würde nicht unbedingt von Wut oder Zorn sprechen, eher von einem Bewusstsein der Absurdität. Viele Dinge, die heute geschehen, verstören mich. Das heißt aber nicht, dass ich "When I Was Cruel" als große moralische Plattform verstehe. Ich sage niemandem, was er zu tun oder zu lassen hat, ich erzähle einfach nur von meinen Gefühlen.
SPIEGEL ONLINE: Was sind das für Dinge, die Sie verstören? Sie haben sicher von der Tragödie in Erfurt gehört, wo ein Schüler 16 Menschen und dann sich selbst erschossen hat; die Politik gibt nun neben den Medien auch der Musik von Rockbands wie Slipknot eine Mitschuld...
Costello: Ich muss die Musik dieser und ähnlicher Bands nicht mögen, um so einen Vorwurf für idiotisch und verantwortungslos zu halten. Niemand ist für eine solche Tragödie verantwortlich, wenn nicht die Leute, die Waffen produzieren und sie in Umlauf bringen. Das Problem sind die Waffen. Mit einer Waffe kann man einen Menschen töten, mit einer Schallplatte wohl kaum.
SPIEGEL ONLINE: "When I Was Cruel" lässt ahnen, dass Sie eine Menge an moderner R&B-Musik gehört haben müssen, eine Musik, die ebenfalls nicht unumstritten ist, weil auch dort bisweilen Waffen verherrlicht werden, beziehungsweise ein diffamierendes Frauenbild gezeichnet wird...
Costello: Es stimmt zunächst, dass ich sicherlich weit mehr an modernem R&B interessiert bin als an modernem Rock. Was die Inhalte anbelangt, bin ich natürlich nicht begeistert, der Mangel an Respekt vor dem weiblichen Geschlecht ist zum Beispiel mehr als nur ärgerlich. Das ändert aber nichts daran, dass mich diese Musik fasziniert, weil sie es versteht, modernste Technologien harmonisch miteinander zu verbinden.
SPIEGEL ONLINE: Diese Faszination zeigt sich auch darin, dass Sie auf "When I Was Cruel" erstmals Sampling-Technologie eingesetzt haben; kostet das einen "gelernten" Rocker Überwindung?
Costello: Eigentlich nicht. Im Übrigen habe ich schon 1997 Synthesizer-Loops benutzt, zu dieser Zeit hörte ich häufig Musik von Kraftwerk. Dort, wo ich auf "When I Was Cruel" Loops und Samples eingesetzt habe, ist das auf eine sehr musikalische Weise geschehen, so, wie man auch ein Instrument einsetzen würde. Deshalb erscheint das Album dem Zuhörer auch so homogen.
SPIEGEL ONLINE: Mit Songs wie "15 Petals" oder "Dust 2" sind Sie in der Tat schwarzer Musik so nahe gekommen wie nie zuvor. Diese Songs klingen darüber hinaus ungewöhnlich sexy...
Costello: Es ist durchaus eine Kompliment für mich, wenn jemand das so empfindet. Es war eine Reise nach Äthiopien, die mich zu "15 Petals" inspiriert hat. Als ich das Gefühl von Freiheit in der Musik dieses Landes gespürt habe, wollte ich unbedingt ein Liebeslied schreiben. Ein Liebeslied, das nicht sentimental ist, sondern sehr große Leidenschaft zum Ausdruck bringt. Wissen Sie, das ganze Geheimnis von "When I Was Cruel" ist, dass wir versucht haben, den Roll wiederzufinden, den der Rock'n'Roll schon lange verloren hat. Und genau das macht dieses Album auch sexy. Manche Leute denken bei meiner Musik an etwas sehr Kopflastiges, weil ich viele Worte in meinen Songs mache. Das ist aber gar nicht der Fall. Meine Musik ist durchaus geeignet für alle Teile des menschlichen Körpers, also auch für das Becken.
SPIEGEL ONLINE: Songs wie "Spooky Girlfriend" erinnern sehr an düsteren TripHop à la Portishead, man denkt an Edward Hoppers Gemälde "Nighthawks", an Bars am frühen Morgen, an einsame Männer, die vor einem leeren Glas sitzen...
Costello: Schön, dass Sie das so empfunden haben, denn genau das war meine Absicht. Ich wollte mit diesen Songs erreichen, dass sich dem Zuhörer solche Bilder und Stimmungen erschließen. Es geht mir um Imagination, einige Leute haben mir gesagt, dass sie an Filme wie "La Dolce Vita" denken, andere fühlten sich an die "James Bond"-Reihe erinnert. Dass verschiedene Menschen diese Songs auch verschieden wahrnehmen, empfinde ich als großes Glück, offensichtlich habe ich die Fähigkeit, mit meiner Musik Bilder und Filme beim Zuhörer entstehen zu lassen.
SPIEGEL ONLINE: Was ist für die Imagination wichtiger, der Sound oder Ihre Texte?
Costello: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt durchaus Songs wie "Alibi", wo mir die Lyrics sehr wichtig sind, wo jedes einzelne Wort genau gewählt ist. Bei anderen Songs ist es eher die Musik, die ein Bild beim Zuhörer provozieren will. Die Worte sind dann eher wie eine Bedienungsanleitung für einen Videorekorder, der eine braucht sie, der andere kommt auch sehr gut ohne sie aus.
Das Interview führte Andreas Kötter
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