Im Leben gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Entweder man setzt sich das Ziel, sich kein Ziel zu setzen, und bevorzugt keine Ambition vor der mit dieser verbundenen Aufregung. Überraschungen bedeuten nur selten, dass der Postmann mit einem Geschenk vor der Haustür steht, sie fallen meist als von Donnergroll begleitete Nachrichten, die man nicht hören will, aus dem heiteren Himmel. Als Gegenmaßnahme empfiehlt sich die innere Abschottung ebenso wie ein gesundes Vertrauen auf Wörter wie "nicht" und "nein". Und auch ein Hauptwohnsitz in Österreich kann diesbezüglich nicht schaden. Die Welt erfindet sich täglich neu, aber garantiert ohne uns.
Oder aber man tingeltangelt hungrig und mit der Neugiersnase eines drogenabhängigen Polizeihundes durch das Leben. Stillstand ist der Tod, das wahre Abenteuer gerade eben nicht im Kopf. Man schließt sich einem Berufsstand an, dem die Veränderung Dogma ist, wird Künstler, Haubenkoch oder Serienmörder auf der Flucht und betritt keinen Raum auch nur ein zweites Mal. Es ist schön hier, aber baba, ich muss jetzt gehen.
Neuland bevorzugt
Elvis Costello ist nicht nur als geborener Brite mit irischem Familienhintergrund und kanadischer Wahlheimat kein guter Österreicher. Er bereist auch künstlerisch gerne Neuland und macht es sich dabei selbst weniger schwer als den Fans, die sich auch im Ausland sehr österreichisch verhalten. Sie erinnern Elvis Costello bevorzugt als Jungspund mit Buddy-Holly-Brille und Gottvater forsch-zackiger oder gerne auch ans Herz gehender Hadern vor allem über das Gestern. So schön, schön war die Zeit - bevor Costello etwa mit Hotellobby-Jazz auffällig wurde oder plötzlich auch klassische Einspielungen für die Deutsche Grammphon auf dem Programm standen. Zuletzt wiederum wurde auf in Nashville eingespielten Albenwie "Secret,Profane&Sugar-cane"(2009) und "National Ransom"(2010)eine Hinwendung zum staubigen Roots-Rock zelebriert.
Mit "Wise Up Ghost" liegt nun die nächste Überraschung vor. Heimlich, still und leise hat sich Costello mit The Roots aus Philadelphia zusammengetan, die seit 1987 als musizierendste aller Hip-Hop-Groups gelten. Schließlich steht das Kollektiv um Mastermind Ahmir Khalib Thompson a.k.a. Questlove für eine um dienstältere Black-Music-Spielarten erweiterte Spoken-Word-Kunst, die ohne Sampling auskommt und stattdessen auf eine unternehmenseigene Band setzt. Im Verbund mit Costello gibt man durchaus im Vintage-Sound gehaltenen Soul, R&B und Funk zum Besten.
Schleifend bis smooth
Ursprünglich als Überarbeitung alter Costello-Songs angedacht, entstand bald ein eigenständiges Album mit neuem Originalmaterial - auch wenn etwa das als Wiegenlied und Soulwalzer gleichermaßen hörbare "Tripwire" auf "Satellite" aus dem "Spike"-Album von 1989 aufbaut und alte Textbausteine per Copy-and-paste-Verfahren ins Heute geholt wurden. Die dabei beschworenen Bilder sind nicht selten düster. Es geht um das Unterdrückt-Werden ebenso wie um das Sich-unterdrücken-Lassen ("We’ll stand in the light of your new killing ground/and we won’t make a sound") und das grundsätzliche Gefangensein in realen Alpträumen: "Wake me up/there must be something better than this!" Musikalisch übersetzen sich diese Momente am besten im monumental-dystopischen Titelsong des Albums.
Die Höhepunkte sind hingegen im trockenen Midtempo-Groove von "Sugar Won’t Work", das sich in einen innigen Refrain entlädt, im repetitiv-schleifenden "Refuse To Be Saved" oder im begnadeten Retro-Soul von "Come The Meantimes" zu finden. Sehr gut auch die smoothe Dauerschleife von "Viceroy’s Row", nicht schlecht das Ska-nähere "Walk Us Uptown".
Die Funkgitarren drängen in den Hallraum. Der Bass hat den Lenz. Gemeinsam mit dem Fender Rhodes wippen die Beats butterweich aus den Knien. Dass am Ende dieses über weite Strecken sehr erfreulichen Joint Ventures mit "If I Could Believe" ein klassischer Costello steht, gefällt dem Österreicher in uns aber auch nicht schlecht. Die Macht der Gewohnheit? Ein alter Hut.
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