Sound Check, September 1989

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Sound Check

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Kicks vom Dreckigen Dutzend


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   Ralf Brosius

Elvis Costello über Platten, Produktionen und die Dirty Dozen Brass Band

Wenn man im Showbusiness sein Geld verdient, sollte man darauf achten, daß der Name, den man trägt, den Kids locker von der Zunge geht. Klar, daß Madrosziwicz nicht so 'rüberkommt wie Spencer oder White. Mitte der 70er Jahre betrat ein Mann die Szene, der mit bürgerlichem Namen Declan MacManus hieß und sich schon sehr bald den Namen gab, unter dem er bekannt geworden ist, nämlich Elvis Costello (das klingt doch schon ganz anders, oder?).

Mr. Costello hat unlängst eine Platte abgeliefert, auf der mehr als 30 Musiker zu hören sind, die zusammengenommen eine ausgesprochen illustre Schar ausmachen. Da wäre zum Beispiel Alt-Beatle Paul McCartney, mit dem Elvis Costello gemeinsam den Song "Veronica" schrieb. Dann noch Roger McGuinn, Gitarrist der legendären Byrds, und Chrissie Hynde, Sängerin und Chefin der Pretenders, sowie die Dirty Dozen Brass Band und Schlagzeuger Jim Keltner. Aufgenommen wurde das Werk, das den Namen Spike trägt, in vier Musikmetropolen dreier Länder: Hollywood, New Orleans, London und Dublin. Sound Check befragte den Querdenker Costello nach der Entstehungsgeschichte des ungewöhnlichen Albums.


Du hast unter anderem in New Orleans aufgenommen. Hast Du eine Beziehung zur musikalischen Geschichte dieser Stadt?

New Orleans ist für wichtige Musikrichtungen wie Jazz oder Blues eine bedeutende Stadt. Sie hat eine interessante Ausstrahlung, und es gibt dort jede Menge Leute, die Musik machen. Meine persönliche Verbindung zu dieser Stadt ist die, daß einige meiner Lieblingsplatten in New Orleans aufgenommen wurden. Louis Armstrong hat dort gespielt, und Little Richard nahm in New Orleans auf. The Meters und die Neville Brothers sind ebenfalls aus New Orleans. Daß ich diese Art von Musik mag, bedeutet aber nicht, daß sie meine Musik stark beeinflußt. Aber es gibt immer wieder neue Sounds, die ich — einmal gehört — in meine Songs einzubauen versuche. Als ich die Dirty Dozen Brass Band zum ersten Mal hörte, konnte ich nicht glauben, daß ein solcher Sound tatsächlich existiert. Ich hatte zuvor nur davon geträumt. Als ich nach New Orleans kam, um für Spike ein paar Songs aufzunehmen, stellte Allen Toussaint für mich den Kontakt zur Gruppe her, denn er hatte bereits mit der Band gearbeitet. Meine Vorstellung war, einen Teil ihres so spezifischen Sounds und der Tradition des Jazz, die sie durch ihre Musik verkörpert, in meine Songs einfließen zu lassen.

Wann hast Du die Dirty Dozen Brass Band zum ersten Mal gehört?

Das war in einem Jazz Club im Greenwich Village in New York. Ich war mit meiner Mutter dort, der ich damals, als ich anfing, Platten zu machen, versprochen hatte, sie einmal nach Amerika mitzunehmen. Meine Mutter ist ein Fan des Amerika der 30er Jahre. Damals hatte Amerika für die meisten Leute noch so etwas anziehend Magisches, und es war auch die groBe Zeit des Jazz, den meine Mutter so gerne hone. Also nahm ich sie viele Jahre spater mit nach New York, und wir besuchten abends einige Jazz Clubs. Irgendwann saBen wir in diesem Laden und hOrten zuerst ein Set von Billy Eckstein, und danach kam die Dirty Dozen Brass Band auf die Bane. Es war einfach fantastisch. Sie spielen auf ihre Art einen Querschnitt durch die amerikanische Jazzgeschichte, von Louis Armstrong bis hin zum Bebop. Damals hatte ich noch keine Plane, die auf eine Zusammenarbeit hinauslaufen konnten. Ich speicherte dieses einmalige Etlebnis nur in meinem Hinterkopf. Erst nachdem ich mich entschieden hatte, mehr als nur eine Band bei der Produktion des Albums einzusetzen, entwickelte ich in meiner Fantasie die Vorstellungen, wie ich Spike realisieren kiinnte. Den AnstoB fur eine andere Arbeitsweise bekam ich durch eine Filmusik, die ich im letzten Jahr geschrieben habe. Ich war gezwungen, andere Sounds und andere Instrumente einzusetzen, um den Bildem die entsprechende musikalische Unterstiitzung geben zu kennen. Mit einer Band ein ganzes Album zu machen, hat durchaus seine Vorteile. Ich selber habe das ja oft genug gemacht. Aber als ich mit T Bone Burnett fiber die Produktion von Spike sprach, ermutigte er mich ebenfalls, alle meine Moglichkeiten zu nutzen, um den Charakter eines Songs durch bestimmte Instrumente oder Musiker starker hervorzuheben. Ein gutes Beispiel daffir ist der Song "Deep Dark Truthful Mirror". Er handelt von einem Typen, der nach Hause wankt und plOtzlich Halluzinationen bekommt. Diese Stimmung wird, finde ich, durch den schon beinahe mysteriosen Blasersound der Dirty Dozen Brass Band sehr gut 'rubergebracht. Ich hatte mir, bevor wir anfingen, die Songs aufzunehmen, noch ehunal meine Lieblingsplatten angeund mir dabei tiberlegt, welche Sounds oder stilistischen Mittel fur die neuen Titel in Frage kommen konnten.

Bevor Du Spike gemacht hast, war ein paar Jahre lang nichts von Dir zu horen. Wie hast Du Dir die Zeit vertrieben?

Ich habe eigentlich eine ganze Reihe von Dingen getan, aber nichts von alledem hat mich in die Hitparaden oder in die Magazine gebracht. Ich habe zum Beispiel einen Song fiir Till Tuesday geschrieben und einige Songs ftir Roy Orbison. Dann auch einen Titel ftir Ruben Blades, der im letzten Jahr veroffentlicht wurde. Einige Songs, die ich zusammen mit Paul McCartney schrieb, sind in diesem Sommer vertiffentlicht worden. Die bereits erwahnte Filmmusik entstand wahrend eines dreimonatigen Aufenthalts in Dublin. Dann waren da auch noch zwei kleinere Tourneen durch Australien und Japan. Und in Amerika spielte ich mit den Musikern des King of America-Albums im Rahmen einer Club-und College-Tour in Louisiana, Memphis und in ein paar kleineren Stadten. Das sind natiirlich keine Big News, aber diese Dinge haben mir SpaB gemacht, und sie hatten alle - mehr oder weniger - EinfluB auf die Kompositionen von Spike, bei denen ich all diese Erfahrungen und das, was ich gelernt hatte, verarbeitete.

Warst Du wiihrend der Aufnahmen fiir Spike so etwas wie der musikalische Direktor im Studio?

Nein, ganz so war es nicht. Zunächst einmal habe ich Tage, Wochen damit zugebracht, diejenigen Leute anzurufen, von denen ich annahm, daß sie etwas zu diesem Album beitragen konnten. Diese Arbeit wollte ich an niemandem abgeben, denn ich konnte nicht davon ausgehen, daß alle in Frage kommenden Leute meinen Namen oder meine Musik kannten und somit wußten, auf was sie sich da einlassen würden. Einige Leute, die ich anrief, hatten zuvor von mir noch nie etwas gehört. Nachdem die Gespräche geführt waren, konnten wir ins Studio gehen. Um arbeiten zu können, brauchten wir dann zunächst eine Grundspur mit einem Drumcomputer. Viele Musiker arbeiten heute so, aber die Gefahr dabei ist, daß man am Ende den perfekten Popsong mit dem perfekten Timing in Händen hält. Und das wollte ich auf alle Fälle vermeiden. Also mußte der Drumcomputer anders als sonst programmiert werden. Ich wollte keinen starken Backbeat, an dem sich jeder zwangsläufig orientieren würde. Aus diesem Grund holten wir uns zwei Programmierer ins Studio, die in der Lage waren, an den richtigen Stellen Akzente einzubauen und so dem Ganzen etwas Syncopenhaftes zu verleihen. Nachdem das erledigt war, kamen wir zum wohl schwierigsten Teil der Produktion. Jemand mußte als erster über diesen Groove spielen. Bei einigen Song war das ein Piano, oder ich spielte mit der akustischen Gitarre die Harmoniewechsel über den Rhythmus. Ein anderes Mal war es Michael Blair, der Percussionist. Michael hat eine ganze Reihe von onventionellen Percussion-Instrumenten, aber er hat auch andere, die eher nach Schrott aussehen. Mit dieser Mischung aus völlig verschiedenen Sounds kreiert er einen Rhythmusteppich, der es für die nach folgenden Musiker fast unmöglich macht, so darüber zu spielen, als wären es ganz gewöhnliche 4/4. Bei einem Song hat die Dirty Dozen Brass Band zuallererst gespielt, dann kam das Piano, und erst danach kamen die anderen Instrumente dazu. Mit der rhythmischen Seite des Albums bin ich sehr zufrieden, weil es, obwohl wir manchmal kräftig neben dem Beat spielen, immer natürlich und homogen klingt. Michael Blair und Gitarrist Marc Ribot spielen in der Band von Tom Waits Sie kennen sich so gut, daß sie sich stellenweise perfekt ergänzen, was man meiner Meinung nach in dem Song "Pads, Paws & Claws" deutlich hören kann. Wir konnten bei einigen Stücken die Patterns der Drummachine teilweise sogar löschen, weil der rhythmische Kontext so stark war. Diese Art zu arbeiten hat mir besonders viel Spaß gemacht, weil Dinge zufällig und spontan entstanden sind. Auf der anderen Seite braucht man für eine solche Arbeitsweise natürlich sehr viel Zeit und Geld.

War Geld auch der Grund, warum Du die Plattenfirma gewechselt hast?

Nein. Ich war vorher bei der Columbia America, und die haben auch nicht gerade wenig Geld. Ich habe immer genug Geld bekommen, um meine Platten zu machen, aber irgendwie war es Zeit, die Firma zu wechseln. Als ich im letzten Jahr bei Warner USA unterschrieb, tat ich das wegen einer weltweiten Veröffentlichung meiner Songs. Mit Columbia gab es in dieser Beziehung Probleme. In Italien, um nur ein Beispiel zu nennen, waren meine LPs nicht erhältlich, was zur Folge hatte, daß ich Konzerte gab, und niemand kannte meine Songs, und das gefiel mir überhaupt nicht.

Genießt Du bei Warner Brothers absolute künstlerische Freiheit?

Es war so, daß ich die Leute gefragt habe, ob sie eine Vorstellung davon hätten, wie die erste Platte klingen soll. Ich meine, ich mußte ja nicht ihrer Meinung sein, aber ich wollte zumindest ihre Meinung hören. Natürlich fühle ich mich geschmeichelt, wenn mich jemand als Song schreiber unter Vertrag nimmt und meinem Geschmack völlig vertraut, aber ich möchte trotzdem die Meinung anderer und ihren Geschmack kennenlernen. Aber alles, was sie zu mir sagten, war: Mach einfach das, was du für richtig hältst. Und genau das habe ich getan. Grund genug, die Warners nach ihren Vorstellungen zu fragen, waren aber auch meine negativen Erfahrungen mit den Columbia-Leuten in diesem Punkt. Sie konnten mir nie genau sagen, was sie von mir wollten. Mit jeder Platte, die ich machte, erfüllte ich einerseits zwar ihre Erwartungen, auf der anderen Seite gab es aber auch immer wieder herbe Kritik. Besonders nach dem Country-Album, das sie überhaupt nicht verstanden hatten, wurden sie das Gefühl nicht los, als würde ich das alles nur tun, um sie zu ruinieren. Von diesem Zeitpunkt an hatten sie das Vertrauen in mich verloren, und sie befürchteten, mit dem nächsten Album würde ich ihnen wieder irgendwas Perverses antun. Sie waren richtiggehend paranoid. Ich glaube, die Leute bei der Columbia hatten das Gefühl, sie würden bankrott gehen, falls jede neue LP von mir anders klingen würde als die davor. Ihren Erwartungen zufolge sollte die jeweils neue LP so klingen wie die vorhergehende. Aber das ist nun mal nicht meine Art, Platten zu machen.

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Sound Check, September 1989


Ralf Brosius interviews Elvis Costello.

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