Talk:Rolling Stone Germany, October 2004

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geführt hatte, was er mit Journalisten macht, die nur an gossip aus seinem Privatleben interessiert sind (scheint seit seiner Hochzeit mit Diana Krall häufiger vorzukommen), spare ich mir eine diesbezügliche Frage.

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Es handelt sich bei The Delivery Man um eine recht lose Erzählung, die immer wieder von Songs unterbrochen wird, die vermeintlich nicht reinpassen und Themen behandeln, die für die Protagonisten der Geschichte ebenso nah oder ebenso weit entfernt scheinen wie für den Zuhörer.


Geraldine verliert ihren Mann also im Krieg und es handelt sich offensichtlich um eine Erzählung, die im amerikanischen Süden spielt. Amerika im Krieg also. Du nutzt diese Geschichte also auch, um auf aktuelle Themen Bezug zu nehmen.

Ja. Es herrscht gerade Krieg. Ich meine, das ist wirklich eine seltsame Koinzidenz. Als ich die Idee zu der Geschichte hatte, war das noch in weiter Ferne. Aber ein Song wie "Bedlam," der jüngeren Datums ist, setzt sich direkt mit dem Krieg im Irak auseinander; dann ist da die weltweite Angst, wie sie in "Needle Time" und "The Scarlet Tide" beschrieben wird — also das ist, was von draußen an die Tür klopft und versucht, reinzukommen. Doch die Charaktere der Geschichte leben nicht in dieser Welt, sie haben sich ins Private zurückgezogen. Sie versuchen, ihre eigenen kleinen Probleme zu lösen. So sind Menschen halt. Ich erinnere mich noch, als North erschien und viele Leute mich fragten: "Oh, wieso handeln all die Songs von Liebe und nicht von 9/11?" Weil ich nun mal nichts Schlaues dazu zu sagen hatte!

Damit fängt das neue Album ja quasi an "Don't wanna talk about the government," heißt es im ersten Stück und dann: "Button my lip 'til I'm smart enough, button my lip with your kiss." Jetzt scheinst du ja doch was zu sagen zu haben zu dem Thema...

Es sind einige Jahre vergangen, und die Dinge werden sehr schnell immer klarer. Und "Bedlam" tauchte halt einfach auf. Mehr ist es nicht, es tauchte auf, das ist das Ehrlichste, was ich dazu sagen kann.

Es ist ja auffällig, dass der politische Diskurs von — wie Jean-Luc Godard es nannte — "Halbintellektuellen" wie Michael Moore beherrscht wird und sich ernsthafte Künstler in ihren Werken kaum mit diesen Problemen auseinander gesetzt haben — oder zumindest nicht gehört wurden.

Nun ja, ich glaube nicht, dass Michael Moore seinen Film als Kunst bezeichnen würde. Eher ist das Provokation. Fahrenheit 9/11 ist Propaganda. Moore versucht, die Leute zu provozieren, sie dazu zu bringen, über die Umstände nachzudenken. Er führt eine einseitige Argumentation und versucht gar nicht, die ganze Story zu präsentieren. Aber warum sollte man ihn dafür kritisieren, dass er die andere Seite nicht zeigt — die wird ja schon von Rupert Murdoch bedient. Fox News lügen ja jeden Tag zu Gunsten der Bush-Administration. Moores Film ist natürlich nicht ohne Fehler. Vieles ergibt nicht wirklich Sinn, viele Argumente sind nicht schlüssig und der Film hat einen sehr seltsamen Rhythmus — aber er erfüllt seinen Zweck. Moore wollte ja keinen zweiten Citizen Kane drehen.

Aber Citizen Kane ist ja ein gutes Stichwort: die Macht der Medien, das Spannungsverhältnis zwischen Wirklichkeit und Kunst, das viele Arbeiten von Orson Welles beherrscht. Wenn man Michael Moores Film nicht als Kunst sieht, ist man auf einmal bei Kategorien wie "Wahrheit" und "Wirklichkeit," an denen sich der Film messen lassen muss. Und da versagt er. Die Goldene Palme in Cannes ging vielleicht gar nicht aus so einem Gutmenschen-Anti-Amerikanismus an Moore. Vielleicht hat Quentin Tarantino als Präsident der Jury in Cannes Moore ja den Preis gegeben, weil er ihn als Kunstfigur rezipiert — als eine Art Cartoon-Variante von Ignatius Reilly.

Da macht man sich's vielleicht ein bisschen zu einfach, wenn man Moore als Cartoon-Figur charakterisiert. Seine Erscheinung legt das natürlich nahe. Dieses Grobschlächtige und dann immer diese Mütze. Aber wenn du es so siehst, ist Quentin Tarantino ja auch eine Cartoon-Figur, eine hyperaktive sogar. Ich interessiere mich für seine neueren Filme nicht mehr so, aber er hat in der ersten Hälfte der 90er sehr faszinierende Sachen gemacht. Jeder nutzt halt die Fähigkeiten, die er hat, um seinen Standpunkt klarzumachen und sein Ziel zu erreichen. Es geht nicht immer um eine politische Intention


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Die Attractions Ende der 70er Jahre in London: Keyboarder Stieve Nieve, Elvis Costello, Schlagzeuger Pete Thomas und Bassist Bruce Thomas (v.l.)


FOTO: KEITH MORRIS/REDFERNS, PETER ANDERSON/S.I.N.





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oder darum, nach Schönheit zu suchen — es kann auch um die ironische Nebeneinanderstellung verschiedener Genres gehen oder darum, unsere Meinung darüber, was Kunst ist, in Frage zu stellen, wie bei Tarantino. Er interessiert sich für abwegige, ephemere Phänomene der Popkultur, wie jetzt diese Karatefilme, und wertet sie auf, macht daraus etwas, das einen größeren Teil der modernen Gesellschaft widerspiegelt — eine Art Fabel.

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The Delivery Man ist ja auch eine Art Fabel, oder?

Ja. Es ist fiktiv und gleichzeitig so real wie irgendwas. Ich meine, was ist heute überhaupt noch real? Ein Großteil von Moores Argumentation ist ja schwer außer Kraft zu setzen: Es gab im Irak keine Massenvernichtungswaffen, Saddam Hussein — natürlich ein verachtenswerter Diktator-hatte keine Verbindungen zu al-Qaida. Und jeder weiß das ja auch mittlerweile. Doch sie behaupten es wieder und wieder.

Weil es irgendwann zur Wahrheit wird, wenn sie es nur oft genug sagen. So läuft es doch mit der Macht, oder? Einfach immer weiter die Unwahrheit behaupten, und wer nicht zustimmt, wird niedergebombt, damit man später Firmen hinschicken kann, die alles wieder aufbauen.

Würdest du gern den Dreck auf Tony Blairs Grab niedertreten, wie du es in "Tramp The Dirt Down" über Margaret Thatcher geschrieben hast?

(Schüttelt den Kopf) So einfach ist es nicht mehr. Den Song habe ich über etwas gesch was mich damals rsönlich betraf, weil ich noch in England lebte. Ich kann zwar nicht verstehen, warum Blair mit George Bush gemeinsame Sache gemacht hat — ich meine, ich wusste, dass er ein Verräter an seiner Partei war und so, aber dass man ihn so leicht hinters Licht führen kann, war mir nicht klar. Aber bei Margaret Thatcher war es ganz klar schwarz und weiß, es war sehr einfach, das satirisch darzustellen. Ihre ganze Erscheinung hat das nahegelegt. Jetzt ist's ein bisschen schwieriger, sich gegen etwas zu stellen und das in einem Song auszudrücken. Was kann man über Tony Blair sagen? Er kommt rüber wie ein überernster Vikar. Das ist nichts wirklich Schlimmes. Seine Rolle ist sehr klein. Es ist natürlich beschämend, dass er Soldaten ohne UN-Mandat in den Irak übersendet hat. Aber die Wirkungsmacht der UN ist halt nur gegeben, wenn das mächtigste Land der Welt ihm diese zugesteht. Das sind alles Spiele um Macht und Kontrolle. Egal wie die Menschen versuchen, ihr Leben zu ordnen, politisch oder religiös, wenn ihr Handeln nicht auf Liebe basiert, basiert es auf Macht und Kontrolle."

Kontrolle ist auch ein passendes Stichwort, um auf Costellos Karriere zurückzukommen. Mit dem Vorfall in Columbus schien er selbige vollkommen verloren zu haben. Er war gefangen in seinem eigenen Image, und gleichzeitig schien die Karriere nach den vermeintlich rassistischen Äußerungen den Bach runter zu gehen. Doch er löste dieses Problem, indem er einfach ein Anderer wurde. Schon Get Happy!! ließ den "angry young man" ein Stück hinter sich, Almost Blue und das leicht eklektische Trust gingen musikalisch auf die Zeit vor My Aim Is True zurück, und mit Imperial Bedroom hatte er sich endgültig von Punk und New Wave verabschiedet.

Die Zeilen "Don't get smart or sarcastic / He snaps back just like elastic / Spare us the theatrics and the verbal gymnastics / We break wise guys just like matchsticks" aus dem Schlüsselsong "The Loved Ones" kann man durchaus als Kommentar zum alten Image lesen. Neil Youngs "It's better to burn out than to fade away" hält er im gleichen Song entgegen: "What would the loved ones say / He'll be remembered young and pretty / What would the loved ones say / Now he's a hit in every city / Now there's a name we'll never forget / There's one born every minute/ Don't pin a medal on me yet! They might be waiting for you." Nur die Besten sterben jung? Schön und gut, aber was würden die Liebsten dazu sagen? Mit Rock 'n' Roll hatte das nur noch wenig gemein. Große amerika-


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Daheim in New York: Elvis und Freund im Central Park
Feinde und Freunde: Stephen Stills mit Informantin Bonnie Bramlett (I.), Costello mit Lucinda Williams
FOTO:WWW.ELVIS-COSTELLO.NET, HENRY DILTZ / CORBIS, GABE PALACIO / IMAGEDIRECT / GETTY IMAGES, PAUL MORSE / WWW.WHITEHOUSE.GOV / COURTESY OF BEBE BUELL





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nische Komponisten wie Gershwin und Cole Porter gehörten plötzlich zu den Referenzen.

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Was wie ein Schritt nach vorn aussah, war eigentlich in der persönlichen Entwicklung ein weiterer Schritt zurück, zur Musik seiner Kindheit. "Ich habe sehr früh begonnen, Musik zu hören, weil ich in einem Haushalt aufgewachsen bin, in dem sich alles um Musik dreht, mit einem Großvater, der Musiker war, einem Vater, der Musiker ist und einer Mutter, die Schallplatten verkauft," erklärt er seine musikalische Initiation. "Ich hab erst viel später gemerkt, was das für ein Glück war, so früh allen möglichen Einflüssen ausgesetzt zu sein, ohne irgendwelche Vorurteile, ohne das Gefühl, dass die Musik einer Zeit immer einer bestimmten Generation gehört. Bebop habe ich damals allerdings nicht wirklich verstanden — das war die Musik, mit der mein Vater anfing, als er Trompete spielte. Und dann irgendwann machte er die Musik zu seinem Berufals Sänger in einem Tanzorchester. Und er war sehr gut. Er bezahlte mit der Musik die Miete. Das hat einen enormen Eindruck hinterlassen." Für die Miete reichte es bei Costello noch nicht, als er das erste Mal ein paar Kröten für sein Musikerdasein bekam: 1972 begleitete er seinen Vater bei der Aufnahme eines WerbeJingles für R. Whites Lemonade. Ross und Declan (im Hintergrund) sangen zusammen: "I'm a, I'm a, I'm a, I'm a secret lemonade drinker." Der zugehörige Spot lief zwischen 1973 und 1984 im britischen Fernsehen und wurde ziemlich populär.

Ross MacManus war lange Zeit Sänger beim traditionsreichen Joe Loss Orchestra, und brachte jederzeit die neuesten Veröffentlichungen aus Pop und Jazz mit nach Hause. Auch die Beatles legten noch Wert darauf, von Tanzorchestern gespielt zu werden, und so gab es für Declan immer schon


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Zielscheiben von Costellos Zorn: Blair mit George Bush