So schmerzlich kann es klingen, wenn Briten Abschied nehmen: „Ich bin in einem Albtraum aufgewacht“, singt Elvis Costello, und seine alvertraute Band, die Imposters, verleiht der Klage ihres Chefs dezent Nachdruck. „Ich bin der Mann, der das britische Empire verloren hat”, präzisiert der Sänger. Doch die Bitterkeit wiegt er sogleich mit einer Extraportion Schmelz in der Stimme auf. Fast könnte man glauben, der Song „I Let The Sun Go Down“ sei Elvis Costellos melancholissche Hymne zum bevorstehenden Brexit. Immerhin haben auch andere Popstars ihren Unmut über den Abschied aus der EU formuliert. Erst kürzlich unterschrieben prominente Musiker einen von Bob Geldof aufgesetzten Brief an Premierministerin Theresa May.
Costello allerdings hat seinen Song schon 2015, also im Jahr vor dem Brexit-Votum, live gespielt.
Auch ein Werk der persönlichen Auseinandersetzung mit der Angst vor der Endlichkeit ist das Lied nicht - obwohl der Gedanke ebenfalls naheläge. Heuer im Juli hatte Costello mit der Nachricht schockiert, dass ihm ein aggressiver Tumor entfernt wurde. Mitten in einer laufenden Tour, die er nach dem Eingriff bereits begonnen hatte, musste er die Notbremse ziehen. Auch geplante Österreich-Termine entfielen. Die Medienberichte über seinen Gesundheitszustand seien aber stark übertrieben gewesen, sagt der Popstar nun in Interviews. Er habe bloß mehr Zeit zur Erholung gebraucht. Und wie zum Beweis beginnt das am Freitag erschienene Album "Look Now" von Elvis Costello mit kräftigem Schwung.
Wie so oft in seinem Gesamtwerk, das nun 31 Alben umspannt, macht er auch diesmal von seiner Gabe Gebrauch, Schweres mit Leichtem aufzuwiegen, Tragödien mit Glanz zu versehen - oder umgekehrt. Zum flotten Beat des ersten Songs ("Under Lime") erzählt Costello von einem Entertainer, der verzweifelt ein Comeback versucht. Im Schmeichelsound der Ballade "Don't Look Now" wiederum versteckt sich die Geschichte einer Frau, die sich vor zudringlichen Blicken schützen muss. Und im vordergründig luftigen "Ripping Paper" geht es eigentlich um die Bilanz eines zerrissenen Familienlebens.
Sein New-Wave-Meisterwerk "Imperial Bedroom" von 1982 nennt der Songschreiber ebenso als Anknüpfungspunkt für die neuen Songs wie den Geniestreich "Painted from Memory", den er 1998 mit Easy-Listening-Legende Burt Bacharach aufnahm. Zwanzig Jahre ist das her. Auf "Look Now" hat der mittlerweile 90-jährige Bacharach ebenfalls auf zwei Songs seine Handschrift hinterlassen.
Die Mischung aus herben und süßen Zutaten, die der zwischen Pop, Jazz und Klassik, zwischen Melodrama und Sarkasmus versierte Costello auf "Look Now" erreicht, klingt zwingend. Am schönsten konzentriert ist sie in einem Titel, den Elvis Costello mit Carole King geschrieben hat: "Burnt Sugar Is So Bitter"
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